Nachtglut: Roman (German Edition)
gesagt«, wiederholte Carl verächtlich. »Mein Bruder hatte keine Ahnung. Der wär wahrscheinlich nicht einverstanden mit meiner Entscheidung, aber ich hab
’nen Riecher für günstige Gelegenheiten – und diese hier kommt so schnell nicht wieder. Also, nichts wie weg!«
Sie schnappten sich alle Lebensmittel, die noch übrig waren, um unterwegs nicht einkehren zu müssen. Außerdem nahmen sie eine Packung Klopapier mit, Dosengetränke, Mineralwasser und alles, was Carl sonst noch für nützlich hielt. Während Myron die Sachen hinten auf dem Rücksitz des Wagens verstaute, machte Carl den Kofferraum auf, um sich zu vergewissern, daß der Matchsack mit dem Geld noch da war. Er glaubte nicht, daß Cecil ihn übers Ohr gehauen hätte – aber diese Connie sicherlich!
Der Sack war noch da, und soweit er feststellen konnte, hatte sich auch niemand daran zu schaffen gemacht. Da es sich nun mal ergab, steckte er gleich ein paar Hundertdollarscheine ein. Reisespesen, sagte er sich. Myron würde den Betrag bestimmt nicht vermissen, wenn er seinen Anteil bekam.
Carl beobachtete seinen Partner, der mit einem Kasten Limonade unter jedem Arm aus der Hütte schlurfte. Myron war immer gleich. Er regte sich nie auf, hatte nie Angst. Auch wütend wurde er nie oder geriet außer Fassung. Sein Schwachsinn schützte ihn vor normalen menschlichen Reaktionen und Emotionen.
Es war eine Affenschande, daß so ein Batzen Geld an einen Idioten verschwendet werden sollte, der seinen Wert so wenig würdigen konnte wie die Möglichkeiten, die er eröffnete. Vielleicht sollte er Myron zukünftiges Kopfzerbrechen über die Verwaltung seines Anteils ersparen. Das wäre einfach zuviel verlangt von ihm. Es würde ihn nur durcheinanderbringen.
Außerdem – sauberer ging’s doch nicht, als ihn hier mit Cecil und Connie zurückzulassen. Er – Carl – konnte sozusagen sein gesamtes Gepäck hier deponieren. Dann wäre er nur noch sich selbst verantwortlich und keinem anderen Rechenschaft schuldig.
Ah, herrlich, diese Aussicht auf uneingeschränkte Freiheit!
Myron stellte die beiden Kästen hinten auf den Rücksitz und machte sich wieder auf den Weg zur Hütte. Carl zog die Pistole aus seinem Hosenbund, entsicherte sie und zielte auf Myrons weiß umwölkten Hinterkopf.
Doch bevor er abdrückte, überlegte er es sich anders. Sie hatten noch eine Riesenfahrt vor sich bis zur mexikanischen Grenze. Myron war zwar dumm wie Bohnenstroh, aber besaß ein zusätzliches Paar Hände und einen kräftigen Rücken. Ohne Widerspruch führte er alles aus, was man ihm sagte. Er war nützlich für harte Arbeiten, wie ein Maultier. Niemand erschoß einen guten Esel, nur weil er häßlich und dumm war.
Daher beschloß er, Myron vorläufig am Leben zu lassen, schob die Pistole wieder ein und schlug den Kofferraumdeckel zu.
Keine fünfzehn Minuten später waren sie startbereit. Myron setzte sich auf den Beifahrersitz. Carl ging noch einmal in die Hütte, um zu prüfen, ob sie auch nichts vergessen hatten, was sie später vielleicht brauchen würden.
Sein Blick flog zu den beiden Leichen. Im Morgenlicht sahen sie grotesk aus. Sie begannen, sich aufzublähen. Fliegen krabbelten in ihren offenen Wunden herum. Sehr bald würden sie anfangen zu stinken.
Er verspürte einen Stich des Bedauerns, verdrängte ihn aber so rasch, wie er seine Furcht vor Gottes Zorn nach dem Abklingen des Sturms verdrängt hatte.
Nur den einen Gedanken gestattete er sich, daß nämlich Cecil und Connie bekommen hatten, was sie verdienten. Sie war eine billige Nutte gewesen, die sich mit Fick und Tücke in eine Sache reingemauschelt hatte, die sie nichts anging. Auf Dauer hätte sie nur Ärger gemacht. Das stand von Anfang an fest.
Den Mord an seinem Bruder zu rechtfertigen gelang ihm nicht so mühelos. Aber trotzdem… Cecil war ein hoffnungsloser
Feigling gewesen. Und stur dazu. Er hatte die Überlegenheit seines kleinen Bruders einfach nicht anerkennen wollen.
Überleben des Tüchtigsten, das war ein fundamentales Naturgesetz! Carl hatte die Menschlichkeit lediglich von zwei Versagern befreit, so schaute es aus.
Er winkte ihnen spöttisch zu. »Adios, Freunde!«
»Wenn’s stimmt, was ich an meinem Autoradio gehört hab, ist fast überall der Strom weg«, berichtete Jack Anna beim Frühstück, das nur aus Brot und Marmelade bestand. Die Nahrungsmittel im Kühlschrank hatten schon begonnen, schlecht zu werden. »Es heißt, daß es noch Tage dauern kann, ehe die
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