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Nachthaus

Nachthaus

Titel: Nachthaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Koontz
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Form von Umnachtung ist geradezu ein Sinnbild für die Menschheit. Von schwerwiegenden Defekten wird behauptet, es handele sich nur um Verschrobenheiten, und Unvollkommenheiten werden gewohnheitsmäßig als reine Unterschiede zelebriert, die eine große Vielfalt innerhalb der Gattung gewährleisten.
    Vielfalt gibt dem Leben keine Würze. Sie bringt Unordnung hervor.
    Individualität ist kein Zeichen von Freiheit. Sie ist die Essenz der Dekadenz.
    Freiheit ist dem Chaos sklavisch untertan. Einheitlichkeit ist Frieden, alle denken und handeln wie eine einzige Person.
    Schon bald werden die unvollkommene Mutter und das noch unvollkommenere Mädchen sein wie eins, ihrer fleischigen Individualität entblößt. Ihrer beider Stolz, ihre Hoffnung und ihre Furcht werden sich als so gegenstandslos erweisen, wie ihrer beider Leben bedeutungslos war.
    Wie die Mutter und ihre Tochter werden auch die älteren Schwestern erfahren, dass man mit Geld keine Sicherheit kaufen kann, dass jede menschliche Errungenschaft ohne Folgen bleibt, dass das, was zählt, die Erde ist und nicht Geschmeiß wie sie, das sie verpestet, die Erde in all ihrer Pracht.
    Unter dem vielerorts 2 900 Kilometer dicken Erdmantel ist der äußere Kern ein Meer aus geschmolzenem Eisen und Nickel mit einem Durchmesser von 2 200 Kilometern, und die Bewegung dieses Meeres erzeugt das Magnetfeld der Erde. Manifestationen dieses Feldes, die in der Nacht blau schimmerten und sogar an bedeckten Tagen zu sehen waren, hatten die Indianer angelockt und sie dazu bewogen, sich auf Shadow Hill niederzulassen. Alle 38 Jahre erzeugen die tiefen Konvektionsströme in diesem Meer aus geschmolzenem Metall eine außergewöhnlich große Flutwelle aus Energie. Die Verwerfung in der Raumzeit, auf der das Pendleton erbaut ist, funktioniert wie eine Falltür, die meistens durch eine hemmende Feder zugehalten wird. Aber der Tsunami magnetischer Energie hat sie schon bei früheren Gelegenheiten geöffnet und wird sie bald wieder öffnen.
    Ich harre dieses Augenblicks.

16 Im Topper’s
    Im Restaurant Topper’s, auf der anderen Seite der Shadow Street und einen halben Block tiefer gelegen als das Pendleton, wurden in elegantem schwarz-weißem Art-déco-Ambiente mit viel dekorativem Ätzglas und Edelstahl gute Steaks mit den üblichen Steakhausbeilagen serviert.
    In der angrenzenden Bar saß Silas Kinsley in einer Nische an einem Fenstertisch. Hier schattierte die indirekte Beleuchtung, die noch gedämpfter und kunstvoller war als im Restaurant, alle Kanten und verlieh dem reflektierenden Material noch mehr Schimmer.
    Nora und er waren oft hier gewesen, um Steaks zu essen, aber manchmal waren sie auch nur auf ein Getränk hergekommen. Im ersten Jahr nach ihrem Tod war er an keinen der Orte zurückgekehrt, die sie öfter gemeinsam aufgesucht hatten, weil er fürchtete, dass die heraufbeschworenen Erinnerungen zu schmerzhaft sein würden. Jetzt suchte er dagegen praktisch nur noch Orte auf, an denen sie gemeinsam gewesen waren, weil die Erinnerungen ihm Kraft gaben. Je mehr Zeit seit ihrem Tod vergangen war, desto näher fühlte er sich ihr, was vermutlich hieß, dass er sich rasch auf seinen eigenen Tod zubewegte, der ihn zu ihr bringen würde.
    Obwohl es noch kurz vor Büroschluss war, hatte sich am Tresen bereits eine Schar von Geschäftsleuten versammelt, die vielleicht nicht nur vor dem Unwetter Zuflucht suchten und sich Abhilfe gegen mehr als nur ihren Arbeitsdruck erhofften. Silas praktizierte zwar seit vielen Jahren nicht mehr als Anwalt, doch das Gespür für die verräterischen Details, die eine Zeugenaussage bestätigten oder widerlegten, war ihm nicht verloren gegangen. In der gegenwärtigen haarsträubenden Wirt schaftslage, in diesen Zeiten raschen Wandels, in denen irra tio nale Gewalttätigkeit an der Tagesordnung war, wiesen zahlreiche Feinheiten im persönlichen Stil und Auftreten der Gäste da rauf hin, dass ihre Wahl auf das Topper’s fiel, weil sie sich danach sehnten, nicht nur ihren alltäglichen Sorgen zu entkommen, sondern auch der Zeit, in der sie lebten. Als Hintergrundmusik lief Big Band Swing, Glenn Miller, Benny Goodman und Artie Shaw. Die bevorzugten Getränke waren Martini, Gin-Tonic und Singapur Sling, genau die, die schon in den Dreißigerjahren für Stimmung gesorgt hatten, und nicht der labberige Weißwein und das kalorienarme Bier der jetzigen freudlosen Epoche der Gesundheitsfanatiker. Um dem Gesetz zu trotzen, rauchten manche Gäste sogar Zigaretten.

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