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Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin

Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin

Titel: Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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Flughafen hatte sie einen Strauß Rosen gekauft und eine mit einer großen roten Schleife versehene Schachtel Pralinen. So bewaffnet, machte sie sich auf den Weg. Sie hielt die erste Pflegerin an, die sie im Gang traf.
    »Entschuldigen Sie, ich bin auf der Suche nach Frau Maschek«, sagte sie und erklärte: »Ich bin ihre Enkelin Lorena.«
    Die Frau maß sie mit einem Blick, der Lorena im Boden hätte versinken lassen, wäre ihr das möglich gewesen.
    »Ich wohne im Ausland«, fügte sie verschämt hinzu.
    Die Pflegerin war immerhin so taktvoll, ihre Gedanken nicht laut auszusprechen. »Sie wohnt immer noch in Zimmer achtzehn«, sagte sie nur und meinte gnädig: »Frau Maschek wird sich freuen, Sie zu sehen.«
    »Wie geht es ihr denn?«, erkundigte sich Lorena.
    Die Pflegerin musterte sie einige quälende Augenblicke, ehe sie gedehnt sagte: »Nun, wie Sie wissen, ist Ihre Großmutter fünfundachtzig und sitzt seit fast fünfzehn Jahren im Rollstuhl. Aber den Umständen entsprechend geht es ihr gut.«
    »Und ihr Geist? Ich meine, ist sie noch klar bei Verstand?«, hakte Lorena nach und hielt angespannt die Luft an.
    »Mit der Demenz des Alters haben hier die meisten zu kämpfen«, sagte die Pflegerin streng. »Doch sie hat ihre klaren Tage, an denen sie uns noch immer mit ihrem scharfen Verstand verblüfft.«
    Mit einem Seufzer ließ Lorena die Luft entweichen und lächelte. »Danke!«, sagte sie und eilte dann den Gang entlang. Die Pflegerin sah ihr kopfschüttelnd nach.
    Vor der Tür mit der Nummer achtzehn blieb Lorena stehen. Sie spürte plötzlich einen Kloß im Hals. Zaghaft klopfte sie an die Tür, öffnete sie behutsam und lugte in das Zimmer.
    Es war spartanisch eingerichtet: ein Bett, ein Nacht schränkchen, ein kleiner Tisch mit einem Sessel und einem Stuhl, ein Kleiderschrank. Nur der bunte Überwurf auf dem Bett und die Fotos an den Wänden gaben ihm ein wenig Farbe und ließen ihn nicht ganz wie ein Krankenhauszimmer wirken. Eine Glastür gegenüber führte auf einen kleinen Balkon hinaus, von dem aus man das nach Süden abschüssige Gelände des Altenheims überblicken konnte. Ein schöner Garten mit Rosenbeeten und ebenen Wegen, über die man einen Rollstuhl schieben konnte, wurde von einer Baumgruppe begrenzt, in der ein Schwarm Spatzen tschilpte.
    Lorena durchquerte das Zimmer und blieb in der offenen Balkontür stehen. Ihr Blick saugte sich an der mageren, alten Frau fest, die aufrecht in ihrem Rollstuhl saß, den Blick irgendwo in die Ferne gerichtet.
    »Großmutter«, war alles, was sie hervorbrachte.
    Für einen späten Oktobertag war es erstaunlich mild. Die Sonne wärmte den windstillen Platz auf dem Balkon und hüllte die magere Gestalt ein, ohne ihrem faltigen Gesicht zu schmeicheln.
    Die alte Frau rührte sich nicht. Noch immer war ihr Blick auf etwas gerichtet, das Lorena nicht sehen konnte. Ein heißer Schmerz durchfuhr sie. Hatte Großmutter sie nicht gehört, oder erinnerte sie sich gar nicht mehr an sie? War ihr Geist doch schon in seiner eigenen Welt und die Demenz fortgeschrittener, als die Pflegerin behauptet hatte?
    Lorena wollte sie gerade noch einmal ansprechen, als sie den Mund öffnete. »Kannst du sie hören? Ich finde, sie plappern wie eine Horde kleiner Kinder, die gerade von der Schule kommen und sich unendlich viel zu erzählen haben. Sie sind den ganzen Tag beisammen, und dennoch stehen ihre Schnäbel niemals still. Weißt du, von allen Vögeln habe ich die Spatzen stets am meisten gemocht. Sie strahlen so viel Lebensfreude aus. Bei ihnen ist immer etwas los, und sie scheinen es am Morgen kaum abwarten zu können, einen neuen, aufregenden Tag zu beginnen.«
    Was sollte sie darauf sagen? Zaghaft trat sie einen Schritt vor. Endlich drehte ihre Großmutter den Kopf und sah sie an. Lorena wagte nicht, ihre Musterung zu unterbrechen. Ihr Blick schien klar, und es huschten im Wechsel Freude und Trauer über das faltige Antlitz.
    »Was ist geschehen?«, fragte sie schließlich.
    Lorena rannen Tränen über die Wangen. Sie eilte zu der Frau in ihrem Rollstuhl, sank auf die Knie und legte die Blumen auf das Tischchen neben dem Stuhl. »Es tut mir so leid«, sagte sie.
    Eine schmale, knittrige Hand senkte sich auf ihr Haar und begann, zärtlich darüberzustreichen. Lorena schluchzte lautlos.
    »Es gibt nichts, das dir leidtun müsste, mein Kind«, sagte Else Maschek.
    »Doch! Ich hätte dich nicht so lange allein lassen dürfen«, widersprach Lorena.
    »Du hattest sicher deine

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