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Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin

Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin

Titel: Nachtmahr - Das Erwachen der Koenigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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unter ihr verschwand. Vielleicht war die Eile ja übertrieben, nachdem sie sich so lange Zeit nicht um ihre Großmutter gekümmert hatte, doch es kam ihr so vor, als würde sie alles verlieren, wenn sie sich jetzt nicht beeilte. Wie hätte sie sich auch nur eine Stunde auf ihre Arbeit konzentrieren können, nachdem sie erkannt hatte, dass es doch einen Menschen gab, der über ihre Natur Bescheid wusste? Unruhig rutschte Lorena in ihrem Sitz hin und her und starrte immer wieder in die grauen Wolken vor ihrem Fenster hinaus.
    »Flugangst?«, erkundigte sich ihr Sitznachbar und beugte sich mit einer Miene voll Verständnis zu ihr herüber. »Das kenne ich. Ich nehme vorher immer ein oder zwei Drinks, das hilft! Sollten Sie auch probieren. Soll ich die Stewardess rufen? Die hat bestimmt was für Sie. Der Service ist zwar längst nicht mehr wie früher, aber in Notfällen kann man da sicher was arrangieren.«
    Lorena schenkte ihm ein verkrampftes Lächeln. »Danke, es geht schon. Ich habe keine Angst, ich bin nur – nun ja, in Eile.«
    Er sah eigentlich ganz nett aus. Vielleicht Mitte vierzig, ein glatt rasiertes Gesicht mit klaren Linien und ersten grauen Strähnen an den Schläfen in seinem sonst dunklen Haar. Vermutlich war er recht groß. Lorena registrierte einen sportlichen Körper mit einem kleinen Ansatz von Bauch unter seinem Anzug.
    Er nickte. »Ich verstehe. Dagegen hilft ein Drink zwar nicht, aber es entspannt dennoch. Ich will sehen, ob ich et was organisieren kann.« Er löste seinen Gurt und erhob sich.
    Lorena starrte aus dem Fenster. Unter ihnen rissen die Wolken auf, und sie sah, wie Englands Küste hinter ihnen zurückblieb. Sie schwebten über dem blauen Kanal dahin, dessen Wasser von ein paar Frachtern durchschnitten wurde.
    Ihr Sitznachbar kam mit zwei Plastikbechern zurück und reichte ihr einen. »Whisky«, sagte er und blinzelte ihr verschwörerisch zu. »Ich habe behauptet, uns wäre von den Turbulenzen übel.«
    »Aber der Flug verläuft doch völlig ruhig«, meinte Lorena über das gleichmäßige Dröhnen hinweg.
    Ihr Nachbar ließ sich wieder in seinen Sitz sinken. »Das ist Ansichtssache. Es gibt Menschen, die einen sehr empfindlichen Magen haben. Nun nehmen Sie schon!«
    Lorena hatte zwar keine Lust auf Whisky, dennoch dankte sie ihm und nahm den Becher entgegen.
    »Cheers!«, prostete er ihr zu.
    Lorena erwiderte die Geste. »Skoal!«, sagte sie mit gespielt tiefer Stimme und schlug im Sitzen die Hacken zusammen.
    Ihr Nachbar lachte. »Miss Sophie, ist das nicht mein Part?«, erkundigte er sich.
    »Nur wenn Sie Admiral sind«, gab Lorena zurück. Dinner for one kannte einfach jeder!
    »Bedaure«, gab er zurück, »nur einfacher Zivilist mit dem Namen Henry Collins.«
    Lorena stellte sich ebenfalls vor, während sie sich die Hände reichten. Sie tranken ihren Whisky, und es gelang ihr sogar, seiner lockeren Konversation zu folgen, bis die Lautsprecher verkündeten, dass sie sich bereits im Landeanflug auf Hamburg befanden.
    »Sehen Sie, so schnell vergeht die Zeit, wenn man nicht mehr darauf achtet, wie langsam sie verstreicht«, sagte Henry Collins zum Abschied.
    »Ja, danke für die Unterhaltung und für den Whisky.«
    Lorena nahm sich am Flughafen einen Mietwagen, obwohl sie ein wenig Bedenken hatte. Sie war lange nicht mehr in Deutschland gefahren und fürchtete, auf die falsche Straßenseite zu gelangen. Wenigstens musste sie sich beim Fahren so konzentrieren, dass ihr jetzt kein Raum für Grübeleien blieb. Lorena mietete sich gleich noch ein Navigationsgerät und tippte die Adresse des Altenwohnheims im Norden Hamburgs ein, das sie zuletzt vor drei Jahren aufgesucht hatte. Aufmerksam fädelte sie sich zwischen den anderen Fahrzeugen ein und ließ sich von Fuhlsbüttel in Richtung Norderstedt leiten. Der dichte Verkehr und die ungewohnte Fahrweise hielten zum Glück auch ihr schlechtes Gewissen in Schach, bis sie auf den Parkplatz vor der Seniorenresidenz einbog.
    Wie hatte sie die Einzige ihrer Familie, die noch lebte, nur so vernachlässigen können?
    Vielleicht weil sie genau aus diesem Grund noch lebte? Weil Lorena ihr ferngeblieben war? Wieder tauchten die verschwommenen Bilder jener Nacht auf, in der ihre Mutter die Treppe hinuntergestürzt war und sich das Genick gebrochen hatte, und die Nacht, in der Lucy verschwunden und im See ertrunken war.
    Ehe ihre Albträume noch beim tödlichen Unfall ihres Vaters anlangten, stieß sie energisch die Wagentür auf und stieg aus. Am

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