Nachtnelken - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners vierter Fall) (German Edition)
damit ihren obligatorischen Anruf in der Magdeburger Bezirksbehörde erledigen zu können. Und bestimmt wartete Dr. Renz im Krankenhaus bereits auf sie.
Ab dieser Nacht hatte Wachtmeister Karl-Horst Stein Dienst. Der übliche Schichtwechsel zu Beginn der Woche. Stein war über das zeitige Erscheinen seiner Chefin nicht erstaunt und begrüßte sie munter. Beflissen machte er ihr Meldung: »Der Mann war gestern kurz vor Mitternacht hier, weil er sowieso unterwegs war. Er hat gesagt: Es eilt nicht mehr, er hat alles eingefroren.«
Judith Brunner tat, als hätte sie sofort verstanden, was ihr da mitgeteilt worden war. Es blieb ihr selten etwas anderes übrig. Steins ohnehin nur begrenzten Talente lagen ganz sicher nicht in den Anforderungen dieses speziellen Arbeitsplatzes am Einlasskontrolldienst, doch ergab sich bisher keine Alternative für seinen Einsatz. Judith hatte es nach einigen Anfangsschwierigkeiten geschafft, sich auf den Mann einzustellen. Mit einem stets ähnlichen Fragenkatalog gelang es ihr meistens, die nötigen Informationen von Stein zu bekommen. Gelegentlich kam es aber auch vor, dass sie Lisa Lenz bitten musste, die Angelegenheit aufzuklären.
»Können Sie sich noch an seinen Namen erinnern?«
Wachtmeister Stein raunte ihr, wobei er es schaffte auszusehen, als würde er ein Geheimnis preisgeben, zu: »Ich habe ihn gar nicht gefragt. Das war nicht nötig!«
»Aber wir hatten doch vereinbart, dass Sie die Namen der Anrufer und Besucher aufschreiben«, erinnerte ihn Judith Brunner leicht verzweifelt an das nicht nur einmal verabredete Verfahren.
»Stimmt. Aber der Mann hatte seinen Namen schon selbst hinterlassen.«
Judith Brunner blieb freundlich: »Dann geben Sie mir doch bitte den Zettel.«
»Kein Zettel«, sagte Stein. Mit großer Geste überreichte er ihr einen braunen Umschlag, als hätte er ein flauschiges Kaninchen aus dem Hut gezaubert.
Judith Brunner war erleichtert, als sie den Stempel sah, der den Absender anzeigte: Dr. Harmsen. Richtig! Gestern war Walter wegen des Mordes gar nicht dazu gekommen, den Bericht, wie er es versprochen hatte, abzuholen. In Gedanken setzte Judith den Tierarzt auf ihre Telefonliste, um ihm persönlich zu danken.
»Haben Sie außer diesem Umschlag noch etwas anderes für mich?« Bei Steins Talent zur Nachrichtenübermittlung war dieses Nachfragen zwingend erforderlich. Deswegen sprach Judith Brunner ihn auch jedes Mal direkt an, wenn sie während seiner Dienststunden das Gebäude betrat oder verließ.
»Ja!«
»Könnten Sie es mir bitte geben?«
Und ohne weitere Umstände reichte ihr Stein zwei mehrfach zusammengefaltete Blätter. Diese nahezu ritualisierte Szene fand fast jeden Morgen so statt und es gab Tage, da glaubte Judith beinahe, sie würde etwas vermissen, wenn es anders wäre.
»Danke«, sagte sie und fragte Stein im Gehen: »Wer löst Sie denn heute auf Ihrem Platz für die Tagesschicht ab?«
»Der Wachtmeister Grille«, kam die erhoffte Antwort.
Judith war zufrieden, denn mit diesem Mann hatte sie ein ernstes Gespräch zu führen. Dafür musste sie die Zeit finden! Sie schnappte sich den Umschlag, nicht ohne noch einen letzten Blick in das Diensttagebuch von Steins Nachtschicht geworfen zu haben, und ging in ihr Büro. Dort überflog sie gerade die Untersuchungsergebnisse des Tierarztes, als Lisa an die offen stehende Tür klopfte.
»Guten Morgen!«, grüßte sie aufgeräumt und hielt ein paar Fotos und Papiere in der linken Hand hoch. Rechts hatte sie sich weitere Hefter unter den Arm geklemmt. »Ich war vorhin in der Technik und habe schon mal ein bisschen vorsortiert.«
»Guten Morgen. Nehmen Sie doch Platz. Gibt’s was Neues?«
»Zwei Fernschreiben aus Magdeburg. Zum einen: Zur Familie Eichner ist dort nichts Negatives bekannt. Zum anderen: Die Liste mit allen Delikten der letzten Wochen in unserem Bezirk, die Sie angefordert hatten. Mir ist auf den ersten Blick nichts aufgefallen, was zu unserem Fall passen könnte, aber wer weiß, vielleicht ergibt sich ja noch etwas.« Lisa Lenz reichte Judith Brunner die beiden, ungleich langen Papierfahnen. »Dann gibt es allerhand Hinweise aus den Dörfern. Einige davon klingen sogar vielversprechend. Ich habe allerdings den Eindruck, es wurden immer wieder dieselben Leute gesehen.« Sie legte Judith Brunner die sortierten und ordentlich gehefteten Protokolle auf den Tisch.
»Lisa, seit wann sind Sie denn schon hier? Es ist gerade mal sechs Uhr! Sie sind wirklich unbezahlbar!«
»Ach,
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