Nachtnelken - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners vierter Fall) (German Edition)
vorherbestimmt war; dass Judas Christus an seine Feinde auslieferte, damit dieser den Weg gehen konnte, den er gehen musste.«
»Interessant. Weißt du mehr darüber?«
Laura hatte während ihres Studiums ein paar Abende mit einem Theologiestudenten verbracht, der sie mit entsprechenden Theorien beeindrucken wollte. Dies war ihm bis zu einem gewissen Grad auch gelungen, sodass sie sich immerhin noch an ein paar Details erinnerte: »Es ist zunächst ein Problem der Übersetzung der alten Quellen aus dem Griechischen; das Verb für Judas’ Handeln erlaubt wohl mehrere Deutungen. Und dann spielen natürlich die verschiedenen Auslegungen in der christlichen Theologie eine Rolle.«
»Judas hat sich dann erhängt, stimmt’s?«, warf Judith ein.
Laura bestätigte: »Ja. Die Geschichte ging nicht gut aus.«
»Das passiert bei Verrat sowieso nie.« Judith goss Wein nach. »Und was ist aus den dreißig Silberlingen geworden?«
Laura musste etwas nachdenken. »Ich weiß nicht genau. Doch das lässt sich schnell herausfinden. Bin gleich wieder da.« Sie stand auf, ging zum Bücherschrank in ihrem Zimmer und nahm die alte Familienbibel zur Hand. Im Licht ihrer Nachttischlampe schlug sie die Stelle nach.
Walter klopfte sacht an die Tür, die vom Garten ins Haus führte. Gemeinsam mit Wilhelmina kam er herein. »Hallo!«
Judith lief zu ihm in die dunkle Küche und sie küssten sich innig. »Na, alles geschafft?«
Da Wilhelmina ihren Fressnapf ungefüllt vorfand, flitzte sie ins Wohnzimmer, um sich wenigstens den bequemsten Sitzplatz zu sichern.
»Fertig«, hielt Walter zufrieden seine getippten Protokolle hoch. »Alle heute in Waldau eingegangenen Hinweise und mein Gespräch mit diesem schlafmützigen Fahrradfahrer in Jemmeritz, von dem ich dir ja schon am Telefon berichtet hatte.«
»Dann hast du dir auch einen Wein verdient«, meinte Judith lächelnd und ging zum Küchenschrank, um ein Glas herauszuholen. Sie war glücklich, ihn bei sich zu haben, vor allem nach diesem Tag.
»Wo steckt denn Laura?«, wollte Walter wissen.
»Sie sucht nach den dreißig Silberlingen«, sagte Judith und dachte gar nicht daran, ihn über diese womöglich eigenartig klingende Antwort aufzuklären. Mit einem sachten Hüftschwung schloss sie die Schranktür und sah Walter unschuldig an. Doch ihre übermütig blitzenden Augen verrieten sie.
Walter spielte mit. »Sicher. Darauf hätte ich auch gleich kommen können.« Judith wollte an ihm vorbei zurück ins Wohnzimmer, doch er griff nach ihr und drückte sie eng an sich. »Ich liebe es, wenn du mich zappeln lässt«, meinte er vieldeutig grinsend.
Dafür bekam er einen weiteren Kuss. »Na komm, dann will ich dich mal aufklären«, gab sie ebenso doppeldeutig zurück.
Sie fanden neben Wilhelmina Platz auf dem Sofa. Walter hätte nichts gegen eine tatkräftigere Fortsetzung ihres Geplänkels einzuwenden gehabt, doch erstens war dies im Moment nicht der geeignete Ort für amouröse Betätigungen und zweitens begann Judith von Ritters Münzuntersuchungen und ihren Schlussfolgerungen zu berichten.
»Verrat. Das könnte passen. Auch die fehlende Zunge bei dem Tier spricht dafür«, ergänzte er. »Aber eigentlich gefällt mir diese Erklärung überhaupt nicht. Die Geschichte wird irgendwie immer bedrohlicher!« Jegliche Unbeschwertheit war mit einem Mal aus seiner Stimme verschwunden.
»Das kannst du laut sagen«, rief Laura. Sie kam ins Zimmer und setzte sich mit der Familienbibel in der Hand in den Sessel. »Hier steht sinngemäß: Judas gab das Geld den Hohepriestern zurück. Na ja, er warf es ihnen einfach in ihren Tempel. Die Hohepriester haben dann dafür einem Töpfer ein Grundstück abgekauft. Sie hielten es für eine gute Idee, das Blutgeld nicht zu behalten, sondern es irgendwie anderweitig zu verwenden.«
»Nachvollziehbar«, meinte Judith.
Walter drängte: »Sie kauften also ein Stück Land. Und?«
»Nun, es war nicht irgendein Stück Land, für das sie das Geld verwendeten. Sie kauften es, um darauf einen Friedhof einzurichten.«
»Ach.«
»Tja. Und zwar nicht irgendeinen Friedhof. Sondern eine Begräbnisstätte für Fremde. Und wisst ihr, wie dieser Friedhof genannt wurde? Blutacker!«
Montag
~ 23 ~
Die Nacht hatte Judith nur wenige Stunden unruhigen Schlafes gebracht. Ohne Frühstück war sie bereits kurz nach der Morgendämmerung aufgebrochen. Ihr erster Weg führte sie in ihre Dienststelle. Zügig wollte sie die neuesten Entwicklungen zusammenfassen, um
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