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Nachtsafari (German Edition)

Nachtsafari (German Edition)

Titel: Nachtsafari (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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Ruck von Mund und Ohren zog. Er war sich sicher, dass der Großteil seiner Haut daran hängen geblieben war.
    »Nehmt das andere Pflaster auch ab«, befahl eine tiefe, männliche Stimme.
    Marcus verkrampfte sich. Das Pflaster lief von Ohr zu Ohr quer über seine Augen. Dass seine Lider damit verklebt waren, erschreck-te ihn mehr als der Elefantenangriff. Aber es blieb ihm keine Zeit, irgendwelche Abwehrbewegungen zu machen. Eine Hand griff in sein Haar, hielt seinen Kopf fest und riss das Pflaster mit der glei chen erbarmungslosen Kraft herunter. Marcus schrie auf, sah automatisch hoch, und für einen grausigen Moment glaubte er in seine eigenen lidlosen Augen zu sehen. Nach der ersten Schrecksekunde begriff er, dass jemand im Schein einiger brennender Holzscheite vor ihm kniete. Ein Mensch, obwohl das auf den ersten Blick nicht zu erkennen war. Ein Kopf, kom plett haarlos, keine Ohren, keine Nase, nur zwei große Löcher, und wo die Lippen hätten sein sollen, saß wulstiges Narbengewebe. Schwarze, wimpernlose Reptilienaugen bohrten sich in seine.
    Marcus senkte instinktiv seine Lider, um eine Provokation zu vermeiden. Er hatte den Eindruck, einen Mann vor sich zu haben, aber sicher war er sich nicht. Der Schattenriss eines hochgewachsenen, muskulösen Kerls in Jeans tauchte jetzt vor ihm auf. Vorsichtig blinzelte er hoch. Der Mann drehte sich nach links, und der flackernde Feuerschein fiel auf die sternförmige Narbe auf der Oberlippe.
    Marcus’ Mund wurde schlagartig papiertrocken. Es war über zwei Jahrzehnte her, dass er diese Narbe gesehen hatte, aber er erkannte den Mann sofort und wusste, dass sein Entkommen mehr als fraglich war. Sein Körper spannte sich gegen die Fesseln, seine Gedanken rasten, suchten einen Ausweg wie eine in die Enge getriebene Maus.
    Doch die Panik regierte ihn nur für ein paar Sekunden, dann regte sich etwas in den tiefsten, schlammigsten Schichten seines Bewusstseins, wo er die Dinge, die er damals hatte lernen müssen, so tief vergraben hatte, dass er glaubte, sie längst verlernt zu haben.
    Aber mit einem Schwall kehrte nun das Gefühl für jene Fähigkeiten zurück, und er erinnerte sich, dass er gut gewesen war in diesen Dingen, ziemlich gut. Reflexartig zuckten seine gefesselten Hände, er spürte die Impulse, die sein Gehirn in seine Glieder schickte, wusste, dass es seine einzige Chance war, diesem Mann zu entkommen. Am Leben zu bleiben. Für Silky.
    »Mandla«, sagte er tonlos.
    »Yebo«, knurrte der Zulu. »Es ist lange her, aber ich habe dich nicht vergessen.«
    Marcus schwieg. Mandla, das Gesicht ausdruckslos, die Daumen lässig in seinen Jeansgürtel gehakt, holte unvermittelt mit einem Fuß aus und trat ihm mit großer Wucht in die Nieren. Der grausame Schmerz trieb Marcus die Luft aus den Lungen. Aber er hatte seine Sinne so weit beieinander, dass er sich sofort bewusstlos stellte, in der Hoffnung, Mandla würde etwas sagen, was ihm verriet, wo er sich befand und was der Zulu mit ihm vorhatte. Obwohl ihm das Letztere eigentlich klar war. Er schloss die Lider nicht vollständig, sodass er durch die Wimpern wenigstens die nähere Umgebung erkennen konnte. Im Hintergrund trieben sich einige Schwarze herum, wie viele es genau waren, konnte er nicht ausmachen.
    Mandla winkte zwei der Männer heran. »Geht und sammelt Holz, genug für einen großen Haufen«, sagte er auf Zulu und sah auf Marcus hinunter. »Einen sehr großen Haufen.«
    Marcus musste seine ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um sich nicht mit einer Reaktion zu verraten, denn nun wusste er, was der Zulu vorhatte.
    Auge um Auge, Zahn um Zahn.
    Panik sprang ihn an wie eine mörderische Raubkatze.

18
    S ilke konnte kaum die Augen offen halten. Immer wieder fiel sie in einen bodenlosen, schwarzen Abgrund, schreckte hoch, nickte wieder ein, bis ein schlurfendes Geräusch sie hellwach werden ließ. Wolkenschleier zogen vor dem Mond vorbei, Schatten waren diffuser geworden und führten ihre Wahrnehmung in die Irre. Bäume verwandelten sich in lauernde Tiere, Büsche schienen sich zu bewegen.
    Vorsichtig drehte sie den Kopf, um die Ursache des Geräuschs herauszufinden, konnte jedoch auf Anhieb nichts erkennen, bis sie einen Schatten wahrnahm, der schwärzer war als die anderen. Vor Schreck gelähmt, sah sie zu, wie der Schatten größer und größer wurde. Die Zeit, die sie benötigte, um zu begreifen, dass sich ihr jemand von hinten näherte – Mensch oder Tier –, betrug wohl kaum mehr als einen Herzschlag.

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