Nachtsafari (German Edition)
finden, hier wegzukommen. Sie blinzelte. Der Mond war nichts als ein weißes Schimmern hinter dichten Wolkenschleiern. Sie tastete über den Boden, erfühlte auf einmal zu ihrer Überraschung einen Schuh. Sie hielt ihn dicht vor die Augen und sah, dass es einer ihrer Ballerinas war. Das musste der Gegenstand gewesen sein, der sie am Kopf getroffen hatte. Zwar konnte sie nicht erinnern, ob ein zweiter hinterhergeflogen war, aber es war auf jeden Fall eine Möglichkeit. Sie tastete weiter blind herum, aber einen zweiten Schuh fand sie nicht. Frustriert schleuderte sie den einen von sich und blieb einfach auf der Straße sitzen. Die Arme um die Knie geschlungen, versuchte sie, irgendeinen klaren Gedanken zu fassen. Was ihr nicht sehr gut gelang. In ihrem Kopf herrschte Chaos.
Ein entferntes Motorenbrummen ließ sie hoffnungsvoll hochschauen. Noch befand sich das Auto hinter einer Anhöhe. Der starke Schein der Scheinwerfer ließ kurz einen Lichtkranz über der Kuppe erstrahlen, dann fuhr das Fahrzeug über die Anhöhe in ihr Blickfeld, kam rasend schnell näher. Sollte sie auf die Straße springen, um es anzuhalten und um Hilfe zu bitten?
»Man weiß nie, wer sich im Wagen befindet.« Marcus’ Stimme.
Sie zuckte buchstäblich zusammen, als die Erinnerung an den Augenblick in ihr hochschoss, als sie mit plattem Reifen mitten in Zululand festsaßen.
»Es gibt zu viele Gangster auf unseren Straßen«, hatte Vilikazi sie gewarnt.
Wie hypnotisiert starrte sie dem Wagen entgegen. Gleich würde sie in den Bannkreis der Scheinwerfer geraten. Wie das Reh, das ihr vor vielen Jahren in einer Winternacht auf einer der gewundenen Straßen im Bayerischen Wald vor den Kühler gelaufen war und das einfach geblendet stehen blieb, anstatt zu fliehen. Es geschah, was geschehen musste: Auf der eisglatten Straße konnte sie weder bremsen noch ausweichen und rammte das Tier mit voller Wucht. Das Reh wurde buchstäblich zerfetzt, und sie bekam den Geruch von frischem Blut monatelang nicht aus der Nase.
Das alles fuhr ihr jetzt durch den Kopf, und sie reagierte instinktiv. Gerade noch rechtzeitig, Sekunden bevor sie in die Lichtkegel geraten konnte, warf sie sich zur Seite, merkte allerdings zu spät, dass die Böschung steil abfiel, rollte immer schneller durch hohes Gras und Gestrüpp den Abhang hinunter, bis sie unten auf einer harten Oberfläche aufschlug und benommen liegen blieb. Die grellen Lichtfinger strichen über ihr ins Leere. Das Auto raste vorbei. Niemand hatte sie entdeckt. Sie atmete durch und rappelte sich in der schützenden Dunkelheit wieder auf.
Unschlüssig, was sie jetzt unternehmen sollte, bemühte sie sich, ihre Lage und Umgebung einzuschätzen. Rauchgeruch hing in der Luft, also hielt wohl jemand in der Nähe ein Feuer in Gang. Vielleicht ein Farmer, vielleicht war sie ganz in der Nähe eines Hauses? Mit vorgestreckten Händen tappte sie ein paar Schritte vorwärts, bis sie lanzenförmige, mannshohe Halme berührte. Ihre Hand glitt tiefer und traf auf die harten Stängel. Hohes Gras oder Zuckerrohr, dachte sie und tastete sich an dem Feld entlang. Das Gelände war einigermaßen eben, wenn auch mit spitzen Steinen übersät, die sich brutal in ihre blanken Fußsohlen bohrten.
»Verdammter Mist«, wimmerte sie und stolperte weiter.
Ein Windwirbel blies ihr eine Rauchwolke ins Gesicht, gleichzeitig hörte sie Stimmen und entdeckte hinter dichtem Gebüsch den flackernden Schein eines offenen Feuers. Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen und schob sich näher, bedacht, nur kein Geräusch zu verursachen, und bald konnte sie vor Funken sprühenden Flammen die Silhouetten von Menschen erkennen. Sich an einem dünnen Baumstamm abstützend, lehnte sie sich vor.
Fünf Schwarze zählte sie, die um ein Feuer lagerten, alles Männer, wie sie schnell feststellte. Sie rauchten und tranken Bier aus Dosen. Die einzige Behausung, die sie ausmachen konnte, war ein Zelt, das aus aneinandergeklebten Plastiktüten bestand, die über vier armdicke Äste geworfen waren, die giebelähnlich gekreuzt oben herausragten. Ihr Blick wanderte zurück zum Feuer.
Einer der Schwarzen warf ein Holzscheit ins Feuer, eine Funkengarbe flog in die Nacht. In ihrem Schein sah sie schweißglän zende Gesichter, muskulöse Oberkörper, rot geäderte Augen, sehr weiße Zähne. Und hinter den Männern, an einen Baum gelehnt, zwei breite Hackbeile mit blanker Schneide, mehrere Kampfstöcke. Und ein Gewehr.
Silke erstarrte. Bildfetzen
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