Nachtsafari (German Edition)
sie den Wagen. »Lass mal was von dir hören, Silky«, rief sie noch.
Bevor Silke sich angemessen bedanken konnte, hatte Greta Gas gegeben.
Jill sah ihr mit hochgezogenen Brauen nach. »Na, Greta hat mich neugierig gemacht. Das klingt ja aufregend. Das musst du uns gleich erzählen.«
»Was ist eine Shiebien?«, wiederholte Silke lautmalerisch den Begriff, den Greta gebraucht hatte.
»So wird hier eine illegale Kneipe in den Townships bezeichnet«, antwortete ihre Gastgeberin. »Treffpunkt von Gangstern und anderen netten Zeitgenossen, also ein Ort, von dem man sich als Weißer tunlichst fernhalten sollte. Jetzt aber zu dir. Ich habe ein Doppelzimmer im Haupthaus für dich herrichten lassen, wenn es dir recht ist. Obwohl unsere Lodge natürlich einen sehr hohen Sicherheitsstandard hat, würdest du dich allein in einem Bungalow im Augenblick doch sicherlich nicht wohlfühlen. Oder?«
»Ganz bestimmt nicht. Da hast du recht. Was kostet denn das Zimmer?« Als die Eigentümerin Inqabas den Preis nannte, zuckte Silke zusammen. Der Preis war saftig, aber sie nickte ihre Zustimmung. Es blieb ihr ja nichts anderes übrig. Das Wichtigste war jetzt, ihre Tasche mit den Papieren und dem Geld aus dem Wrack zu bergen. Wobei der Pass das Allerwichtigste war. Den Verlust des Geldes konnte sie verkraften, aber im Ausland ohne Pass dazusitzen grenzte an eine Katastrophe. Ein deutscher Pass würde auch hier sehr begehrt sein. Für einen guten Fälscher war er mit Sicherheit sehr viel wert.
Aus ihrer Globetrotterzeit mit Tony wusste sie noch, dass der Pass ihr kostbarster Besitz im Ausland war. Ohne ihn gab es keinen Nachweis, wer sie war, ja, dass sie überhaupt existierte. In Mexiko war ihr der Pass einmal in einer Bar geklaut worden und damit ihr Existenznachweis zusammen mit dem gültigen Einreisestempel. Unversehens wurde sie als Illegale abgestempelt und fand sich in einer kakerlakenverseuchten, bis zum Bersten überfüllten Gefängniszelle wieder. Und nur weil Tony völlig überraschend – wenn auch nur kurzfristig – aus seinem Drogennebel aufgetaucht war und ihrem Vater ein Telegramm geschickt hatte, der wiederum die dortige Botschaft alarmiert hatte, öffneten sich nach drei entsetzlichen Tagen die Gefängnistore für sie.
Nie wieder war ihr die Sonne heller erschienen, die Luft süßer. Und nie zuvor hatte sie so banale Dinge, wie eine Tasse Kaffee im Restaurant trinken zu können, in ihr Auto zu steigen, wann immer ihr danach war, so intensiv genossen.
»In dein Zimmer bringe ich dich später«, unterbrach Jill ihren Gedankenfluss. »Wir haben heute eine große Party gefeiert, und unsere engsten Freunde sind noch hiergeblieben und warten darauf, dich kennenzulernen.«
Silke folgte ihr durch einen mit Lichterketten geschmückten Blättertunnel über die mit Lampions beleuchtete Holzterrasse, wo sie fast über einen Haufen nasser Planen und verknäulter, glitschiger Seile stolperte.
»Wir hatten hier ein Mordsgewitter«, bemerkte Jill. »Der Sturm hat kurzen Prozess mit meinem Partyzelt gemacht. Das sind die traurigen Überreste. Habt ihr auch was davon abbekommen?«
»Eine Sintflut, ja, die hatten wir. So was konnte man nicht mehr als Gewitter bezeichnen«, antwortete Silke und stieg vorsichtig über die Zeltreste. »Sturm allerdings kaum, nur ein Sturzregen, wie ich ihn noch nirgendwo auf der Welt erlebt habe. Aber mir hat’s gereicht. Ich dachte, ich würde da mitten im Busch ertrinken.«
»Das passiert schon. Die Leute unterschätzen die Macht der Wassermassen, werden in die Flüsse oder Schluchten gespült und ersaufen da.«
»Da hab ich ja richtig Glück gehabt«, murmelte Silke spitz. »Ist denn hier nichts gemäßigt?«
»Selten. Das hier ist Afrika. Afrika kann brutal sein«, gab Jill zurück. »Und wer hat dir das angetan?« Sie deutete auf den langen Riss unter Silkes Auge, der unter dem orangefarbenen Desinfektionsmittel wieder geblutet hatte. »Scheint mir, als hättest du dir da die Haut mit einem Dorn aufgerissen, und es sieht nicht so gut aus.« Sie nahm Silke bei den Schultern und drehte sie zum Licht, das aus dem Wohnzimmer fiel.
»Ein Raubadler hat mich angegriffen«, sagte Silke.
»Ein Raubadler? Du machst Witze.« Jill musterte sie ungläubig. »Wo war denn das?«
Silke schilderte ihr den Angriff des riesigen Adlers auf der Veranda von Hluhluwe, und ganz plötzlich barst der Damm von Selbstbeherrschung, der sie während der letzten Stunden seelisch aufrecht gehalten hatte. Ihre Knie
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