Nachtsafari (German Edition)
vor.« Damit zog sie Silke zu der alten Zulu. »Das ist Nelly Dlamini, sie gehört zur Familie«, sagte sie auf Englisch. »Es gibt niemanden, der in Zululand irgendetwas gilt, den sie nicht kennt, und nichts, was hier passiert, bleibt ihr verborgen. Sie hat eine Trüffelnase für Geheimnisse.«
»Hm«, machte Nelly Dlamini stirnrunzelnd, aber ihre Augen leuchteten auf.
»Und das ist Jonas, ihr Enkel.« Jonas, smart in dunkler Hose und weißem Hemd, lehnte an der Wand und blinzelte müde durch seine Brillengläser. »Er hört sogar die Flöhe husten und das Gras wachsen«, fuhr Jill fort, »Er scheint seine Informationen aus den Molekülen der Luft zu saugen … Manchmal ist er mir ein bisschen unheimlich.«
Jonas rückte seine Brille zurecht. »Hi«, sagte er und grinste mit blitzendem Goldzahn.
Silke fand ihn sofort sehr sympathisch. Eine hübsche Frau mit schokoladenfarbener Haut in der Uniform einer Kellnerin sammelte mit abwesender Miene leere Gläser ein.
»Thabili, unsere Restaurantmanagerin«, erklärte Jill und wandte sich einem älteren Mann in schwarzem Hemd, ausgebeulten Chinos und Buschstiefeln zu, der einen Safarihut trug, der – soweit Silke es sehen konnte – aus Schlangenhaut gefertigt war. Er saß zurückgelehnt in einem altmodischen Ohrensessel. Sein Gesicht hatte die Farbe einer alten Walnuss und ebenso viele Falten. Farmer, schätzte Silke. Oder Großwildjäger. Er hatte so etwas an sich. Auf einer kalten Pfeife kauend, die Arme in herausfordernder Weise vor der Brust gekreuzt, musterte er sie. Ohne Hast ließ er seine Augen, die schwarz und funkelnd vor Lebendigkeit waren, über sie wandern, blieb sekundenlang an ihren nackten, verpflasterten Füßen hängen. Außer einer hochgezogenen Augenbraue konnte Silke aus seiner undurchdringlichen Miene nicht lesen, zu welchem Ergebnis er bei seiner Inspektion gekommen war.
»Guten Abend«, grüßte sie ihn leicht irritiert.
»Hm«, knurrte er und kniff seine Augen zu unfreundlichen Schlitzen. Mehr nicht.
Silke lag eine gereizte Bemerkung auf der Zunge, aber sie war jetzt einfach zu müde, um sich mit diesem unfreundlichen Kerl anzulegen. Außerdem gab es wirklich Wichtigeres. Sie nickte ihm kurz und kühl zu.
»Der Knurrhahn hier ist Napoleon de Villiers«, raunte Jill ihr schnell ins Ohr.
Sie sprach den Namen nicht französisch aus, sondern de Villjers. Silke merkte sich das. Schon bei der Autovermietung war ihr aufgefallen, dass Worte und Namen einer fremden Sprache hier offenbar gnadenlos der südafrikanischen Aussprache angeglichen wurden. Ein anderer Kunde hatte einen »Pjiuscho« bestellt – der Wagen stellte sich als Peugot heraus.
»Napoleon ist Natal-Uraltadel«, fuhr Jill fort. »Verwandt mit jedem, auf den es ankommt.«
»He, Jill, was hast du da zu flüstern?«, raunzte der Mann, der Napoleon hieß, und schüttelte erbost seine kalte Pfeife. »Willst du mich dieser Dame nicht vorstellen?« Er schob seinen Hut mit zwei Fingern auf den Hinterkopf und blickte Silke in die Augen. Und grinste ihr zu.
Jill kam seiner Aufforderung nach. »Silke, das ist Napoleon de Villiers, und wenn du ihn bei seinem Spitznamen Nappy nennst, spielst du mit deinem Leben oder mindestens mit deiner Gesundheit. Kommt auf seine Tagesform an. Wenn er schlecht drauf ist, holt er schon mal sein Jagdgewehr.« Sie lachte leise. »Ansonsten ist er relativ harmlos.«
Silke sah den Mann ruhig an und bildete sich schnell ihr Urteil. Ein lupenreiner Macho. Solche Dinosaurier waren ihr schon genügend begegnet, und sie konnte sie nicht ausstehen. Aber Spielchen konnte sie auch spielen. Ganz bewusst ließ sie sich ihrerseits Zeit, Napoleon de Villiers eingehend zu betrachten. Seine faltigen Züge waren scharf geschnitten, wie von einem ständigen Wind modelliert, und unter seinem Hut war weißes, drahtiges Haar zu sehen, das sich dicht um seinen Schädel kräuselte. Sie musste gestehen, dass er recht gut aussah.
»Guten Tag«, sagte sie schließlich kühl.
»Hier begrüßt man sich mit einem Kuss«, grollte der Mann mit dem Schlangenhut, während er hingebungsvoll seine Pfeife stopfte und anzündete. Schwerer, würziger Qualm breitete sich als Wolke um ihn aus.
»Ich kann Pfeifenqualm nicht ausstehen«, gab Silke zurück.
Das Ergebnis war ein anerkennendes Funkeln der schwarzen Augen. »Sieh an, sieh an.«
Aus der Tiefe des Hauses kam das metallische Klacken von hohen Absätzen auf den Fliesen, und gleich darauf betrat eine bildschöne junge Frau das Zimmer.
Weitere Kostenlose Bücher