Nachtsafari (German Edition)
wieder. Und Sie werden etwas essen, sonst kippen Sie mir noch um. Keine Widerrede.« Sie drückte ihr ein Glas halb voll mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit in die Hand.
Silke roch Alkohol, rümpfte die Nase, setzte das Glas aber trotzdem an. Ihre Zähne klirrten am Rand, gehorsam zwang sie die brennende Flüssigkeit die Kehle hinunter. Sie japste, als der hochprozentige Alkohol sie wie ein Schlag im Magen traf, doch dann breitete sich eine angenehme Wärme in ihr aus.
»Danke«, krächzte sie, betrachtete Greta zum ersten Mal genauer. Die Farmersfrau war von kräftiger Statur, eher vollschlank, schätzungsweise Mitte bis Ende vierzig, ihr Haar war mittelblond, und sie trug ein grün kariertes Hemd, das locker über ausgefransten Jeans hing. Sie hielt sich sehr gerade, was ihr eine Aura von Autorität verlieh. Gesicht, Ausschnitt, Arme und Hände waren tiefbraun gegerbt, und die Haut war von einem Netz feiner Falten durchzogen. Das Zeugnis eines Lebens unter der brutalen afrikanischen Sonne. Ein weißer Streifen am Haaransatz zeigte, wo tagsüber ihr Sonnenhut saß.
Überraschend lächelte Greta auf sie hinunter, und Silke stellte erstaunt fest, wie sehr ein Lächeln ein Gesicht verwandeln konnte. Verschwunden waren alle Härte und Unfreundlichkeit, vor Silke stand ein verschmitzter Kobold von einer Frau, deren hellblaue Augen vor Vergnügen tanzten.
»Ehrlich, ein Warzenschwein? Davon müssen Sie mir unbe dingt erzählen«, sagte Greta.
Silke stand auf. »Natürlich, aber ich würde gern erst duschen, ich stinke bestimmt wie …«
»… wie ein Warzenschwein«, vollendete die Farmersfrau den Satz und lachte. »Tun Sie tatsächlich, und zwar ziemlich durchdringend. Kommen Sie, ich zeige Ihnen die Dusche.«
Silke wurde unerklärlicherweise warm ums Herz. Auf eine verschwommene Art fühlte sie sich an ihre Großeltern erinnert, obwohl Greta Carlsson wohl rund zwei Jahrzehnte jünger war. Eilig folgte sie ihrer Gastgeberin.
»Ich lege Ihnen was zum Anziehen hin, Ihre Sachen sind ja nicht mehr zu gebrauchen«, sagte Greta und öffnete die Tür zu einem altmodischen Badezimmer.
In der Mitte stand eine gusseiserne Wanne mit Füßen, die Löwentatzen nachgebildet waren. Das Waschbecken war ähnlich altmodisch wie die Wanne, der Spiegel darüber bräunlich angelaufen. Das einzige Fenster war ebenso vergittert wie alle anderen.
»Leider haben wir wohl nicht die gleiche Größe, aber vielleicht finde ich ein paar passende Kleidungsstücke.« Ihr Blick fiel auf Silkes Füße, und sie zog besorgt die Brauen zusammen. »Ich schau mal, ob ich ein paar Flip-Flops für Sie auftreiben kann. Pflaster und Desinfektionsmittel bringe ich Ihnen gleich. Die Wunden sehen nicht gut aus. Die müssen Sie unbedingt behandeln.«
Silke beugte sich vor und sah sich mit ihrem Spiegelbild konfrontiert. Ihre Augen starrten ihr rot geädert aus einer braunen Schlammmaske entgegen. Der Riss unter ihrem Auge war blutverkrustet. Sie verzog das Gesicht. »Ich sehe ja grauenvoll aus«, murmelte sie und betrachtete sich genauer. Jeder Quadratzenti meter ihrer Haut und Kleidung war mit braunem Schmutz bedeckt, der zum Teil eingetrocknet und rissig aufgebrochen war.
»Schlamm soll ja gut für die Haut sein.« Greta gluckste amüsiert.
Silke rubbelte vorsichtig an der Kruste herum, die daraufhin abbröckelte, als ihr etwas einfiel. Sie wandte sich zu der Farmersfrau um. »Ich werde im Wildreservat Inqaba erwartet. Könnten Sie für mich dort anrufen – ich habe mein Mobiltelefon irgendwo verloren und damit auch die Nummer der Lodge. Vielleicht haben Sie ein Telefonbuch? Bitte fragen Sie nach einer Jill Rogge, die ist …«
»Jill und ich kennen uns seit unserer Kindheit«, unterbrach sie Greta. »Und ich habe ihre Geheimnummer. Was soll ich ihr sagen?«
»Dass mit mir alles okay ist.«
Greta lachte kurz auf. »Das stimmt ja wohl nicht ganz, aber lassen wir das vorerst. Duschen Sie sich, danach können Sie mir beim Frühstück alles Nötige erzählen. Ich rufe in der Zwischenzeit Jill an.«
Silke nickte dankbar und zog die Tür zu.
19
N ach der wohltuenden Dusche versorgte sie ihre Füße, betupfte auch den Riss unter ihrem Auge mit Desinfektionsmittel und schlüpfte zehn Minuten später in das dunkelblaue Leinenkleid, das ihr Greta hingelegt hatte. Wenn sie den Gürtel aufs letzte Loch schnallte, passte es sogar einigermaßen. Die Flip- Flops stellten sich als viel zu groß heraus, und sie zog es vor, barfuß zu laufen. Ihre
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