Nachtsafari (German Edition)
regierten, Krankheit und Tod an der Tagesordnung waren. Schon damals war das so gewesen, aber es war leicht gewesen wegzusehen.
Hinter der Hütte raschelte es, und unwillkürlich wollte er sich aufsetzen, aber ein stechender Schmerz, der ihm durch die linke Schulter schoss, hinderte ihn daran.
Er fluchte, weil er vergessen hatte, dass seine Arme auf dem Rücken gefesselt und seine Beine fest verschnürt waren. Mandla wollte offenbar sichergehen, dass er sich nicht befreien konnte. Er lag auf dem Bauch, sein Kopf war zur Seite gedreht, was an sich schon eine ziemliche Tortur war, weil er sich beim Golfen mit einer ungeschickten Bewegung das Genick verrenkt hatte. Vor einer gefühlten Ewigkeit in einem anderen Leben. München war so weit entfernt, dass er sich kaum an sein eigenes Haus erinnern konnte. Behutsam bewegte er sich, um die brutale Fesselung etwas zu lockern. Aber sie gab keinen Millimeter nach. Er schluckte ein Stöhnen herunter, zwang sich, trotz der Schmerzen den Kopf zu drehen, und blinzelte.
Die Reptilienaugen waren noch immer unverwandt auf ihn gerichtet. Er wich dem Blick aus. Das Einzige, was er jetzt tun konnte, war, sich wach zu halten und sich in einem unbewachten Augenblick seiner Fesseln zu entledigen. Er schielte an sich hinunter, um festzustellen, womit Mandla ihn verschnürt hatte. Es war ein relativ dünnes, gedrehtes Seil, nicht mit der glatten und glänzenden Oberfläche eines Kunststoffseils, sondern eins, das außen offenbar durch intensiven Gebrauch bereits aufgeraut war. Es musste aus Naturfasern hergestellt worden sein. Vermutlich Sisal. In Natal blühte in den Siebzigern die Sisalherstellung, daran erinnerte er sich gut. Und ein solches Seil war zu einem gewissen Grad dehnbar, besonders wenn es feucht war, und das war es nach dem Wolkenbruch in der vergangenen Nacht. Die Luft war schwer mit Feuchtigkeit, alle Materialien sogen sich damit voll. Sollte es allerdings trocknen und sich dabei zusammenziehen, bevor er es lockern konnte, würde es äußerst unangenehm für ihn werden. Er schätzte, dass dann zumindest seine Hände absterben würden.
Mit einem Stoßgebet, dass Mandla ein Seil minderer Qualität verwandt hatte, konzentrierte er seine ganze Kraft darauf, mit gezielten Muskelbewegungen seine Fesseln zu weiten. Anspannen, drehen, loslassen. Und noch mal, immer wieder, bis ihm das Blut in die Hände schoss und stach, als hätten sich Tausende von Ameisen in seiner Haut verbissen. Er empfand das als einen ganz und gar köstlichen Schmerz, zeigte es doch, dass das Seil lockerer geworden war. Aber noch nicht locker genug. Noch konnte er seine Hände nicht aus der Schlinge ziehen, doch nun war er immerhin hellwach. Ein Energiestrom schoss ihm durch die Adern. Fieberhaft arbeitete er weiter.
Es wurde zunehmend heller, und immer deutlicher schälten sich Einzelheiten aus dem Morgendunst. Unablässig schnellte sein Blick hin und her. Über das Reptilienwesen, den Holz haufen, der sicherlich rund zwei Meter in der Höhe maß und oben abgeflacht war. Wie ein Scheiterhaufen. Sekundenlang drehte sich alles um ihn, aber er riss sich zusammen, ließ seine Augen weiter über die Umgebung wandern.
Rote Erde. Spärliches Gras. Struppig wuchernder Busch. Ein paar verkrüppelte Bäume. Auf der anderen Seite Reste einer Obst plantage. Eine armselige Palme, die vor einer baufälligen Hütte ihr kümmerliches Leben fristete, kam ins Blickfeld, dahinter eine hohe Bodenwelle, dann flach ansteigendes Land, dicht bedeckt von Gestrüpp und Müll. Daher vermutlich der ekelhafte Gestank! In der Ferne begrenzten grasbewachsene Hügelkuppen seinen Blick, und schemenhaft hinter dem Dunstschleier konnte er hier und da Hütten erkennen.
Ein karges Land, seiner saftig grünen Vegetation beraubt, ausgelaugt, zersiedelt. Unfruchtbar. Nun war er sich sicher, sich nicht geirrt zu haben. Er befand sich mitten in den Hügeln Zululands. Den Hügeln, die in seiner Erinnerung grün und fruchtbar gewesen waren. Aber vielleicht war das nur eine Illusion gewesen, damals. Vielleicht idealisierte er das alles nur. Er schob die Gedanken von sich und widmete sich erneut seinen Fesseln. Die Sonne kroch bereits über den Horizont, es wurde merklich wärmer, und Schweiß prickelte auf seiner Haut. Vor Durst klebte ihm die Zunge am Gaumen, und er überlegte, ob er das Reptilienwesen um Wasser bitten konnte.
Doch plötzlich hörte er Stimmen. Gleich darauf bogen mehrere Männer um die Ecke der Hütte und näherten sich dem
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