Nachtsafari (German Edition)
waren.
Das Wochenende verbrachte Silke damit, den Freunden, die sie zur Party eingeladen hatten, über Facebook und per E-Mail Bescheid zu sagen, dass die Feier verschoben werden musste. Aus dringenden geschäftlichen Gründen. Was ja absolut der Wahrheit entsprach. Sonst sagte sie nichts. Andrea in Hamburg und Nicole Haslinger rief sie an, und natürlich auch ihre Großeltern.
Ihr Großvater war am Telefon. Seine raue Stimme, die knarrte wie die Wanten seines Kutters, erweckte Erinnerungen an Abende am Kaminfeuer, duftende Bratäpfel, an Geborgenheit und die fernen Tage einer sorglosen Kindheit. Ihm erzählte sie als Einzigem alles, was sie von Marcus erfahren hatte.
»Er sagt, wenn das mit der Mine schiefgeht, bricht es ihm finanziell das Genick, auch privat. Es ist wie damals bei Papa.« Sie musste schlucken, ehe sie weiterredete. »Es hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Er verschweigt mir den Kern des Problems, davon bin ich überzeugt, und ich glaube, es hat mit seinem Vater zu tun.«
»Ihr fliegt wann nach Südafrika?«, unterbrach sie ihr Großvater.
»Mittwochabend, und auf der einen Seite freue ich mich natürlich, wer würde das nicht! Afrika! Aber ich habe ein ziemlich mulmiges Gefühl. Was soll ich tun, Großpapa?«
»Nichts, nimm’s, wie es kommt. Vielleicht irrst du dich, außer dem kannst du mich schließlich immer erreichen, ich kann sogar inzwischen skypen.« Er lachte stolz. »Weißt du, Männer müssen manchmal hart am Wind segeln, min Deern, und wenn Marcus ins Schlingern gerät, musst du sein Anker sein. Marcus ist ein guter Junge. Wenn ihr zurück seid, kommt ihr für eine Zeit lang zu uns, dann nehme ich ihn mit aufs Meer und werde mal ein bisschen Tiefseefischen betreiben. Großmama wird begeistert sein, dann kann sie Orgien in der Küche feiern. Sie jammert immer, dass es sich für uns allein nicht lohnt.«
Als er auflegte, hörte sie ihn vergnügt glucksen. Sie lächelte. Wie immer hatte er es geschafft, sie aus ihrem Seelentief herauszuholen. Als Tiefseefischen bezeichnete ihr Großvater eine unverblümte Unterhaltung von Mann zu Mann. Wenn es jemand konnte, würde er auf den Grund von Marcus’ Problemen kommen. Sie sah ihn vor sich. Weißes Haar, das Gesicht von Wind und Wetter braun gegerbt wie eine Walnuss, den alten, marinefarbenen Troyer hochgeschlossen, Schultern vom Einholen der Netze noch immer breit wie die eines Boxers und ein Lachen, das durch das Haus in den Dünen schallte, in dem Großmama in einer Duftwolke von frisch gebackenem Streuselkuchen und reiner Liebe wirkte.
Die Vorstellung allein genügte, dass sie sich ins Auto setzte und zum nächsten Konditor schlidderte, um Streuselkuchen zu besorgen. Zu Hause kochte sie eine große Kanne starken Kaffee, wärmte den Kuchen kurz im Herd auf und rief Marcus, der im Esszimmer auf seinem Computer herumhackte. Er kam hereinge schlurft, blass, die Augen rot geädert, aber nach der dritten Tasse Kaffee wurde er etwas lebhafter.
»Danke«, sagte er leise und zog sie in seine Arme.
»Weiß eigentlich dein Vater, dass du nach Südafrika fliegen willst?«
»Nein«, antwortete er heftig und umschlang sie noch fester.
»Gut. Sag’s ihm einfach nicht.«
Am Montag ging sie auf Beutezug durch die Kaufhäuser, aber um diese Jahreszeit konnte sie kaum Sommersachen auftreiben. Schließlich wich sie auf die Boutique aus, in der sie arbeitete, obwohl die dank vieler Promi-Kunden für exorbitante Preise bekannt war. Silke kannte den Warenbestand und wusste, dass einige Stücke Überbleibsel vom letzten Sommer waren, in denen sich niemand, der im Rampenlicht stand, noch sehen lassen wollte. Sie erklärte ihr Problem der Besitzerin, die sie inzwischen als Freundin bezeichnen konnte, und die nahm sie mit ins Warenlager.
Sie wählte ein paar Stücke aus, wobei ein Safarianzug aus goldbeige schimmerndem Leinen mit Goldknöpfen ihr besonders ins Auge stach. Nach hartnäckigem Handeln, das mit viel Lachen und freundlichem Geplänkel gespickt war, konnte sie einen sensationellen Rabatt herausschlagen. Außerdem waren die Sachen erste Qualität und würden noch für ein paar Saisons halten, was ihr Gewissen weitgehend beruhigte.
»Sieht teuer aus«, bemerkte Marcus stirnrunzelnd, als sie den Anzug vorführte.
»Nicht wirklich«, erwiderte sie schnell und beeilte sich, ihn mit einer Frage abzulenken. »In welches Wildreservat werden wir fahren?«
»Hluhluwe und Umfolozi«, antwortete er und sprach das erste Wort wie Schluschlui
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