Nachtsafari (German Edition)
hatte sie in Hamburg etwas gespart, aber das tastete sie nicht an. Aus dem Drama mit ihrem Vater hatte sie gelernt, an die Zukunft zu denken und vorsichtig mit Geld umzugehen. Vorerst verdiente sie es in München als freischaffende, deutlich unterbeschäftigte Lektorin und vertrat halbtags die Eigentümerin einer kleinen, sehr feinen Boutique, die weit über die Grenzen Münchens hinaus als Geheimtipp galt. Es reichte für Bücher, Kleidung und kleine Extras und ihren Teil vom Haushalt. Darauf hatte sie bestanden. Marcus hatte das anfänglich lachend ab gewehrt, ihr versichert, dass er mehr als genug für sie beide ver diente, aber schließlich hatte er begriffen, dass sie ihre Unab hängigkeit brauchte. Nur die Miete, die sie ihm anbot, nahm er nicht an.
»Das Haus gehört …«, er zögerte fast unmerklich, »gehört mir«, fuhr er fort. »Sonst zwingst du mich, dich als Haushaltshilfe zu bezahlen.«
Ihre Kabbelei war in Gelächter untergegangen, und als sie dann im Bett landeten, fühlte sie sich unglaublich geborgen.
Marcus’ Sicherheitsbedürfnis schien fast noch größer zu sein als ihres. Deswegen, so versuchte sie sich selbst zu überzeugen, konnte die Lage so dramatisch nicht sein. Schließlich gehörte ihm das Haus in Thalkirchen, sie saß im Augenblick am Steuer seines Porsche Cayenne, sie gingen häufig in ziemlich teure Restaurants und ins Theater. Also musste Geld vorhanden sein. Dem musste sie auf den Grund gehen.
»Bevor alle Stricke reißen, könntest du ja das Haus verkaufen, das dürfte doch ziemlich viel wert sein«, bemerkte sie, aber der Satz blieb unbeantwortet. »Marcus?« Plötzlich erinnerte sie sich an die winzige Pause, die er eingelegt hatte, bevor er sagte, dass das Haus ihm gehöre, und sie konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme plötzlich brüchig wurde. »Dein Haus. Was ist damit?«
»Es gehört meinem Vater.«
»Und das Auto?«
»Ist geleast. Spart Steuern.« Er hatte das Gesicht in den Händen vergraben. Die Worte klangen dumpf durch seine verschränkten Finger.
Silke holte tief Luft. »Okay«, sagte sie ruhig, »diese Sache werden wir zusammen durchziehen. Dein Vater muss davon nichts erfahren. Es muss endlich Schluss sein mit seiner Tyrannei. Vielleicht ist es die beste Gelegenheit, um dich von ihm zu befreien.«
Gerade in diesem Augenblick teilte der Wind die schweren Wolken, Mondlicht floss über die Stadt und verwandelte den Schnee in einen Überwurf aus glitzernden Diamanten. Silke sah in die funkelnde Märchenlandschaft hinaus. Das Feuerwerk war verstummt, und die Geräusche der Stadt sanken zu einem Flüstern. Ruhe breitete sich in ihr aus.
»Ich habe schon einiges von der Welt gesehen«, sagte sie leise und mehr zu sich selbst, »aber nach Afrika bin ich noch nie gekommen. Und im Januar ist das Modegeschäft mausetot. Ich könnte locker freibekommen.« Ihr Ton machte den letzten Satz zu einer Frage.
Marcus sah sie erstaunt an. »Seit wann träumst du denn von Afrika? Das ist mir ganz neu.«
»Ach.« Sie machte eine vage Handbewegung. »Jeder träumt doch mal von Afrika. Zurück zu den Ursprüngen, zu den Wurzeln der Menschheit. Die unendliche Freiheit spüren, von der alle schwärmen, einmal Nelson Mandelas Lächeln live erleben … Ich hatte mal vor, Afrika mit einer Freundin von Nord nach Süd zu durchqueren. Mit dem Fahrrad, aber irgendwie ist mir was dazwischengekommen, und ich bin woanders hängen geblieben.« In Mexiko mit Tony.
»Mit dem Fahrrad durch Afrika?« Sein Ton war bemüht ausdruckslos. »Ein bisschen naiv, oder? Davon hast du mir noch nie etwas erzählt.«
»Es gab tatsächlich schon ein Leben vor dir«, spottete sie sanft, »und wir haben ja noch alle Zeit der Welt, uns alles voneinander zu erzählen. Immer sutje, sutje, wie wir Küstenbewohner sagen.«
Sie verfielen beide in Schweigen. Marcus spielte abwesend mit seinem Verlobungsring, Silkes Blick wanderte abermals hinaus in die kalte Winternacht. Aber sie nahm die Schönheit des frisch gefallenen Schnees nicht wahr, sondern blickte in eine andere Welt, spürte Wärme, sah sonnenüberflutete Weite vor sich, endlosen Himmel.
»Afrika!«, rief sie plötzlich aus. »Afrika … Herrgott, die Natur muss grandios sein und der Himmel über Afrika. Das letzte Paradies …« Ihre Stimme verlor sich.
»Hitze, Staub und Dreck«, entgegnete Marcus lakonisch.
Die sonnenüberfluteten Weiten verdunkelten sich schlagartig. Sie fuhr herum. »Sei nicht so zynisch. Ich würde gern mitkommen, das alles
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