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Nachtschicht

Nachtschicht

Titel: Nachtschicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ihre Briefe mit einem eingekreisten ›Kitty‹ unterschrieb, wirklich ein und dieselbe Person waren. Meine Schwester war ein kleines Mädchen mit Rattenschwänzen und noch ohne Busen.
    Sie war diejenige, die dann mit Schreiben aufhörte. Ich bekam noch Karten zu Weihnachten und zum Geburtstag, die meine Frau für mich erwiderte. Dann ließen wir uns scheiden, ich zog um und vergaß es einfach. An Weihnachten und meinem Geburtstag darauf erreichten mich die Karten über meine alte Adresse. Die erste. Und ich dachte immer bei mir: Himmel, ich muß Kitty schreiben und ihr sagen, daß ich umgezogen bin. Aber ich tat es dann doch nie.
    Doch, wie gesagt, das sind nur Fakten, die nichts bedeuten.
    Das einzige, was wirklich von Bedeutung ist, das ist, daß wir heranwüchsen und sie von jenem Versicherungsgebäude sprang, und daß Kitty diejenige war, die immer glaubte, daß das Heu dort wäre. Es war Kitty, die gesagt hatte: »Ich wußte, daß du sicher irgend etwas getan hattest, um mir zu helfen.«
    Diese Dinge sind wichtig. Und Kittys Brief.
    Die Leute ziehen heutzutage so viel um, und es ist komisch, aber diese durchgestrichenen Adressen und die Empfänger-verzogen-Aufkleber können manchmal wirklich wie Anklagen aussehen. In der oberen linken Ecke des Briefumschlags stand in Druckschrift ihre Anschrift, die Adresse, wo sie bis zu ihrem Tod gewohnt hatte. Es war ein sehr hübsches Apartmentge-bäude. Dad und ich waren dort, um ihre Sachen abzuholen.
    Die Hauswirtin war nett. Sie hatte Kitty gern gehabt.
    Der Brief war zwei Wochen vor ihrem Tod abgestempelt. Er hätte mich schon viel früher erreicht, wenn er nicht zuerst an die alte Adresse gegangen wäre. Sie muß das Warten leid geworden sein.
    Lieber Larry,
    ich habe in letzter Zeit sehr viel nachgedacht … und ich glaube jetzt, daß es besser für mich gewesen wäre, wenn die letzte Sprosse abgerissen wäre, bevor Du das Heu unter mich legen konntest.
    Deine Kitty
    Ja, ich glaube, sie muß das Warten leid geworden sein.
    Jedenfalls ist mir dieser Gedanke lieber als der, daß sie geglaubt haben könnte, ich hätte sie vergessen. Ich hätte nicht gewollt, daß sie das denkt, denn dieser eine Satz war wahrscheinlich das einzige, was mir Beine gemacht hätte. 
    Aber auch das ist nicht der eigentliche Grund dafür, warum ich jetzt so schlecht einschlafen kann. Wenn ich die Augen schließe und einnicken will, dann sehe ich sie vom dritten Heuboden herunterfallen, die dunkelblauen Augen weit offen, den Körper gebogen und die Arme hoch über ihrem Kopf.
    Sie war es, die immer gewußt hatte, daß das Heu da sein würde. 

Der Mann, der Blumen liebte
    Es war einer jener Maiabende im Jahre 1963. Der junge Mann, der, die Hände in den Hosentaschen vergraben, schnellen Schrittes die Third Avenue in New York entlangging, war offensichtlich bester Laune. Er genoß die milde, schmeichelnde Frühlingsluft und das Farbenspiel am Himmel, der sich in der Dämmerung langsam von Blau in samtiges Dunkelviolett verwandelte. Es soll Leute geben, die die Stadt lieben, und dies war einer der Abende, an denen ihnen diese Liebe bewußt werden mußte. Die Menschen, die in den Eingängen der Delikatessenläden und Schnellreinigungen standen, schienen alle zu lächeln. Eine alte Frau; die ihre Einkaufstüten in einem alten Kinderwagen vor sich her schob, grinste den jungen Mann an und rief ihm zu: »Hallo, schöner Prinz!« Er winkte ihr flüchtig zu und ging vorbei.
    Sie sah ihn an, dachte: Du wirst geliebt.
    Genauso sah er aus. Er trug einen hellgrauen Anzug, und unter dem gelockerten Schlipsknoten war der oberste Hemd-knopf geöffnet. Sein dunkles Haar war kurz geschoren, seine Haut sah gesund aus, und seine Augen strahlten hellblau. Das Gesicht war eigentlich nichts Besonderes, doch an diesem warmen Frühlingsabend, auf dieser Straße, in diesem Mai 1963 war er schön, und die alte Frau träumte in süßen Erinnerungen, daß im Frühling jeder schön ist … wenn er auf dem Weg zu seiner Angebeteten ist, um sie zum Essen und vielleicht danach zum Tanzen auszuführen. Der Frühling ist die einzige Jahreszeit, in der Erinnerungen niemals bitter sind, so ging sie weiter, froh, ihn angesprochen zu haben und glücklich, daß er ihr Kompliment angenommen hatte.
    Der junge Mann überquerte die sechsundsechzigste Straße schlenderte, immer mit diesem Lächeln auf dem Gesicht, auf den alten Mann zu, der ungefähr auf der Mitte des Blocks neben seinem prächtig gefüllten Blumenwagen stand. Die

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