Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nachtseelen

Titel: Nachtseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krouk Olga
Vom Netzwerk:
Die wirklich Verfluchten verursachen immer Seuchen, solche wie ich, die den Fluch bloß geerbt haben, zum Glück nicht.«
    Epidemien waren den Nachzehrern zu verdanken? Das kam Alba aber etwas lächerlich vor. Hieße es doch, dass sie ihre Allgemeinbildung gründlich überprüfen müsste.
    Â»Nun. Irgendwann hatte ich genug Energie, um mich endgültig zu materialisieren. Ich habe keine Ahnung, wie es geschah, aber eines Tages stand ich da, aus Fleisch und Blut. Was nichts daran änderte, dass ich die Lebenskraft anderer Menschen brauchte, um existieren zu können. Und ich schwöre, ich wollte nicht existieren. Aber es lag nicht in meiner Macht, diesen Kreislauf zu durchbrechen.
Sobald ich auf Nahrung verzichtete, erwachte die Gier und beherrschte mich. Dann tötete ich wahllos, und ich kann nur hoffen, dass du niemals erleben wirst, was passiert, wenn die Gier einen Nachzehrer vollständig unter Kontrolle hat.
    Dein Großvater, Hermann Herzhoff, konnte sich nie mit dem Verlust Albas, seiner Frau, abfinden. Mit ihrem Tod brach für ihn die Welt zusammen, seine kleine Tochter, deine Mutter, beachtete er kaum. Dann fiel ihm auf, dass alle meine Familienmitglieder unabhängig voneinander innerhalb kürzester Zeit an einer Lungenentzündung gestorben waren. Er fand diese Tatsache seltsam und begann mit seinen Nachforschungen. Damit verbrachte er sein ganzes Leben. Erst als alter Mann brachte er die Wahrheit ans Licht.«
    Das war es also, dachte Alba, als Georg meinte, ihr Opa wäre seinen Hirngespinsten nachgejagt. Hermann Herzhoff hatte all seine Energie auf die Suche nach den Gründen verwandt und verfolgte denjenigen, der seine Frau auf dem Gewissen hatte.
    Am Fenster klopfte es. Evelyn erhob sich und zog den Vorhang zur Seite. Das trübe Tageslicht verwandelte sie nicht in eine menschliche Fackel, sie verzog nur das Gesicht, als wäre es ihr unangenehm, und beeilte sich, das Fenster zu öffnen.
    Auf dem Sims draußen saß der Rotmilan. Sie ließ ihn herein, während Adrián fortfuhr: »Mein bester Freund wurde zu meinem schlimmsten Feind. Vor etwa fünfzehn Jahren kam er mir tatsächlich auf die Schliche.«

    Der Vogel flatterte durch den Raum, und Alba bemerkte, wie Finn sich anspannte, als das Tier zu ihm gerauscht kam.
    Â»Denk nicht mal daran«, stieß er durch zusammengebissene Zähne hervor und verscheuchte ihn mit einer hektischen Geste, so als wollte er eine Spinne abschütteln.
    Der Rotmilan flog einen Bogen durch das Zimmer und setzte sich neben Alba auf die Sofalehne. Die Krallen bohrten sich in den Lederbezug und schlitzten ihn auf.
    Â»Du haftest für dein Vieh«, murrte Adrián. »Die Couch war teuer.«
    Alba kam es vor, als blicke der Vogel triumphierend umher. Gleich fühlte sie sich ihm verbunden. Zumindest er hatte es seinem Herrchen gezeigt.
    Â»B-brav ge-gemacht«, flüsterte sie und wandte sich an den Nachzehrer: »U-und weiter?«
    Adrián lächelte traurig. »Hermann hat mich aufgespürt, geköpft, verbrannt und meine Asche in die Elbe gestreut. Aber was nützt es, wenn man untot ist? Ich wachte auf – nicht im Sarg, sondern irgendwie schwebend über dem Wasser – und musste diejenigen aussaugen, die mir in meinem zweiten Leben nahestanden. Diesmal war es viel schwieriger, denn ich pflegte keine engen Kontakte zu den Menschen, und kämpfte gegen den Drang an, deinen Opa anzufallen. Aber es gelang, auch wenn nur ganz knapp. Ich war wieder da. Und dein Opa erfuhr es. Die Jagd fing von vorn an. Doch dann nahm das Ganze eine Wendung.

    Eines Tages suchte Hermann mich auf – aber nicht, um mich umzubringen, nein. Er brauchte meine Hilfe. Auf Knien bat er mich, ihm beizustehen: Seine kleine Enkelin Alba war entführt worden – von Metamorphen, wie er vermutete. Und nur meine übernatürlichen Fähigkeiten würden seine Suche erfolgreich machen.«
    Alba horchte auf. Ihr Opa hatte sie also nicht an den Kinderhändler verkauft! Ein Funken Wärme glomm in ihrem Inneren auf. Wie viel musste sie ihm bedeutet haben, wenn er ihretwegen seinen Erzfeind um Hilfe gebeten hatte? Doch die Erkenntnis brachte noch mehr Durcheinander in ihren Kopf. Aus welchem Grund hatte er ihrer Mutter die kalte Schulter gezeigt und sie, seine Enkelin, so geliebt?
    Â»Du warst sein Ein und Alles«, antwortete Adrián. »Die vergeudeten Jahre taten ihm leid. Zu spät hatte er

Weitere Kostenlose Bücher