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Nachtseelen

Titel: Nachtseelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krouk Olga
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manipulieren, dass du mich vergisst. Aber ich war hungrig, und die Gier – die hat einfach die Überhand gewonnen. Ich konnte nichts dagegen tun. Wenn so etwas passiert, bin ich absolut unzurechnungsfähig, weil mein Fluch es mir nicht erlaubt, zu verhungern. Es tut mir leid.«
    Was redete er da für einen Stuss? Alba rieb sich über die Stirn. Wenn das so weiterging, würde ihr Schädel vor Schmerzen bersten. Sie brauchte Ruhe, Abstand zu all dem.
    Â»W-wer bist du?«, stöhnte sie und erwartete alles Mögliche zu hören: ein Vampir, ein Dunkelelf, ein
Boogieman – doch das, was er antwortete, schockierte sie mehr als ihre kühnsten Vorstellungen: »Dein Großonkel.«
    Â»Wer?« Ihr wurde flau im Magen. Jetzt war sie froh, an der Wand zu lehnen.
    Â»Der Bruder deiner Oma«, erklärte er, obwohl es eher eine rhetorische Frage gewesen war. »Na ja, eigentlich nur Halbbruder, aber das ist egal.«
    Die Angelegenheit wurde immer irrsinniger. Sie hatte einen Großonkel, der jünger aussah als ihre Mutter! Das war mehr, als sie ertragen konnte. Zuerst die seltsamen Metamorphe, dann das hier. Nein, das konnte einfach nicht wirklich passieren! Vielleicht war sie bereits verrückt geworden, und alles spielte sich nur in ihrer Fantasie ab? Ihre Mutter hatte oft genug angedeutet, mit ihrer Psyche stimme etwas nicht, um sie zu allen möglichen Seelenklempnern zu schleppen.
    Â»Ich würde vorschlagen«, unterbrach Evelyn die entstandene Stille, »wir verlegen das Familientreffen ins Wohnzimmer.«
    Sie hakte sich bei Alba unter und führte sie fort. Alba freute sich über die Unterbrechung, während derer sie ihre Gedanken sortieren konnte. Viel besser ging es ihr dadurch nicht. Bevor ihr Verstand sich endgültig verabschieden würde, beschloss sie, dem Geschehen weiter beizuwohnen, in der Hoffnung, alles würde sich noch irgendwie vernünftig aufklären.
    Als die anderen sich hingesetzt hatten, begann Adrián ohne Umschweife zu erzählen: »Auf mir lastet ein Fluch,
der mich untot macht.« Er sah sie prüfend an, doch das Einzige, was sie dazu dachte, war ein »Aha«.
    Â»Normalerweise ist so ein Bann einer Mächtigen, einer Hexe, zu verdanken, die den Fötus für irgendein Vergehen der Mutter verhext. Aber ich habe den Fluch vererbt bekommen, mein Erzeuger war ein Nachzehrer. Mehr weiß ich nicht über ihn, ich kenne nicht einmal seinen Namen.«
    Nachzehrer. Alba horchte auf. Da war es, das andere Wort, das sie in den Notizen ihres Großvaters gesehen hatte. Hermann kannte also die Wahrheit über diese Nachzehrer und Metamorphe, oder wie sie alle hießen.
    Adrián erzählte weiter: »Ich bin in einer kleinen spanischen Stadt zur Welt gekommen. Einige Jahre danach heiratete meine Mutter meinen Adoptivvater Pablo, und kurze Zeit später bekam ich zwei Geschwister: meinen Bruder Alejandro und meine Schwester Alba, deine Oma. Unsere Kindheit verging im Gemetzel des Bürgerkriegs, und unsere Jugend wurde durch den Zweiten Weltkrieg gezeichnet. Pablo, wie viele andere Spanier, sah die Schuld an der wirtschaftlichen Misslage Spaniens im Kommunismus. Als Hitler den Angriff auf die damalige Sowjetunion gestartet hatte, meldete sich Pablo freiwillig zur División Azul , der Blauen Division, um seine Ideale zu verteidigen. Aufgrund dieser Tat bin ich nicht stolz auf ihn, aber er war gut zu uns und vor allem: Er hatte meine Mutter wirklich geliebt. Kurz danach fiel er an der russischen Front.
    Ich weiß nicht, wie es meiner Mutter gelang, uns die
Jahre danach über die Runden zu bringen. Es waren schwere Zeiten, in denen wir teilweise nicht einmal ein Dach über dem Kopf hatten. In den 50ern bin ich als Gastarbeiter nach Deutschland gegangen, um meiner Familie wenigstens ein bisschen zu helfen. Dort lernte ich Hermann Herzhoff kennen, als wir beide in eine Schlägerei verwickelt waren.«
    Evelyn verdrehte die Augen. »Männer.«
    Â»So ist es, mi vida .« Adrián schenkte ihr ein Lächeln, das in Alba einen Anflug von Neid hervorrief. Niemand hatte sie jemals so angesehen oder angelächelt. Nicht einmal Georg. Die Erkenntnis erfüllte sie mit Traurigkeit. War sie es einfach nicht wert?
    Evelyn erhob sich vom Sofa. »Stört es euch, wenn ich nebenbei weiter die Kartons einräume? Sonst schaffen wir es nie bis zum Termin.«
    Alba war es egal. Auch die anderen sagten nichts dagegen.

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