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Nachtsplitter

Nachtsplitter

Titel: Nachtsplitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja von Vogel
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Geschmack blieb hartnäckig auf der Zunge kleben. Im fahlen Licht der Innenbeleuchtung sah ich
     mich nach etwas zu trinken um. Ich brauchtejetzt dringend einen Schluck Wasser. Die Rückbank war übersät mit jeder Menge Zeug. Leere Getränkedosen, alte Zeitschriften,
     Fast-Food-Verpackungen und verschrammte C D-Hüllen . Keine Wasserflasche.
    Ein lautes Knacken ließ mich zusammenzucken. In der Stille der Nacht klang es wie ein Schuss. Mit weit aufgerissenen Augen
     starrte ich nach draußen in die Dunkelheit. Das Auto stand mitten im Wald auf einer kleinen, von Fichten gesäumten Lichtung.
     Zwischen den Bäumen lauerte die Nacht. War dort jemand? Kam der Autobesitzer zurück? Oder hockte er irgendwo im Unterholz,
     beobachtete mich und holte sich dabei einen runter? Im erleuchteten Wagen war ich bestimmt gut zu erkennen.
    Ich merkte, wie sich die feinen Härchen auf meinen Armen aufstellten. Ich musste hier weg. Und zwar so schnell wie möglich.
     Hektisch suchte ich nach meinen Klamotten. Die Chucks lagen im Fußraum, zwischen noch mehr C D-Hüllen und leeren Pizza-Kartons. Sie waren total verdreckt. Staub, Erde und Grasbüschel klebten an den Sohlen. Es sah aus, als hätte
     ich eine längere Wanderung gemacht.
    Wohin?
    Meinen Rock fand ich zerknüllt auf dem Fahrersitz. Ich schlüpfte schnell hinein. Er war etwas klamm und roch unangenehm, aber
     das war mir egal. Am rechten Schienbein entdeckte ich zwei Kratzer. Vorsichtig fuhr ich mit den Fingerspitzen darüber. Siewaren nicht besonders tief und bereits verschorft. Ich spürte keinen Schmerz, trotzdem schien die aufgeschürfte Haut unter
     meinen Fingern zu prickeln. War ich gefallen? Oder hatte mich jemand gestoßen? Hatte ich versucht zu fliehen?
    Vor wem?
    Ich stieg aus dem Auto und schloss leise die Tür. Die Innenbeleuchtung erlosch, ich stand im Dunkeln. Wieder überrollte mich
     die Panik. Ich rannte einfach los. Zwischen den Bäumen hindurch, deren Zweige mir ins Gesicht schlugen. Über den weichen Waldboden.
     Nur weg von hier. Weg von diesem Auto, in dem irgendetwas passiert war, an das ich mich nicht mehr erinnern konnte.
    Fast wäre ich gefallen, als ich über eine Wurzel stolperte. Keuchend blieb ich stehen. Der Mond war weitergewandert. Sein
     Licht fiel jetzt in einem anderen Winkel zwischen den Bäumen hindurch. Ich sah noch mehr Fichten, eine knorrige Eiche und
     struppige Büsche, die wie zusammengekauerte Ungeheuer am Boden hockten. Ein Windstoß ließ ihre Blätter wispern und irgendwo
     hinter mir knackte es wieder. Mein Herz schlug so heftig, dass es beinahe wehtat, und ich fuhr mir nervös mit der Zunge über
     die trockenen Lippen. War ich nicht allein im Wald? Folgte mir jemand? Der Typ, dem das Auto gehörte? Wollte er mich zurückholen?
    Ein Bild zuckte durch meinen Kopf.
     
    Dunkelheit. Stille. Ein Wald? Ich höre meinen Atem. Irgendjemand ist hinter mir. Jakob? Oder der andere Typ? Ich kann sein
     Gesicht nicht sehen. Mir wird klar, dass es nicht mein Atem ist, den ich höre.
    Es ist seiner.
     
    Übelkeit stieg in mir hoch, aber diesmal schaffte ich es, sie zurückzudrängen. Die Kopfschmerzen pochten gleichmäßig hinter
     meinen Schläfen. Mir wurde schwindelig und ich lehnte mich kurz gegen den Stamm der Eiche. Die Rinde fühlte sich rau an und
     roch würzig. Ich versuchte, ruhig zu atmen und klar zu denken. Aber die Angst blockierte mich, lähmte mich, machte mich fertig.
     Was, wenn ich den Rückweg nicht fand? Wenn ich kilometerweit von zu Hause entfernt war? Wenn mich gleich eine Hand packte
     und zurück zum Auto zerrte?
    Bevor ich völlig durchdrehen konnte, erblickte ich einen Pfad zwischen den Bäumen. Ich stolperte darauf zu und rannte weiter,
     froh, mich nicht mehr durchs Unterholz kämpfen zu müssen. Es war nur ein schmaler Trampelpfad, aber er musste trotzdem irgendwohin
     führen. Einmal meinte ich, Schritte hinter mir zu hören, aber ich drehte mich nicht um. Ich lief, bis ich nur noch meinen
     eigenen keuchenden Atem wahrnahm. Bis ich Seitenstechen bekam und meine Lungen zu platzen schienen. Bis sich endlich die Bäume
     lichteten und der Pfad auf einen etwas breiteren Weg mündete.
    Ich erkannte den Sandweg, der zum Festivalgelände führte. Vor lauter Erleichterung traten mir Tränen in die Augen. Es tat
     so gut, sich wieder orientieren zu können. Ich blickte kurz zurück. Der Trampelpfad verlor sich hinter mir in der Dunkelheit.
     Er war leer. Trotzdem hatte ich immer noch das Gefühl, nicht allein zu

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