Nachtzug
daß die beiden Hand in Hand gingen, was ihn störte. Szukalski musterte vorsichtig den Freund von Maria Duszynska. Hartung hatte etwas Aristokratisches an sich, seine Gesichtszüge waren etwas zu scharf geschnitten, als daß man sie als fein hätte bezeichnen können, aber nichtsdestoweniger mußte man zugeben, daß er mit seiner stattlichen Größe und seinen blauen Augen ein attraktiver Mann war, dessen Lächeln von echter Freundlichkeit zu zeugen schien. Als er auf seine Studienfreundin aus alten Tagen hinabblickte, die um einen Kopf kleiner war als er, blitzten seine Augen fast schelmisch auf.
»Ich habe ein Zimmer im Hotel ›Weißer Adler‹ gemietet«, erklärte Hartung mit tiefer Stimme. »Bevor ich losging, habe ich dem Besitzer {40} einen Zloty gezahlt, damit er uns für heute abend einen Tisch freihält. Möchten Sie uns begleiten, Herr Doktor?«
Szukalski lehnte dankend ab. Dann fragte er: »Wie lange werden Sie in Sofia bleiben,
Panie
Hartung?« Er bemühte sich, freundlich zu bleiben und Interesse zu zeigen, während er gleichzeitig darüber nachdachte, wie er sich einen eleganten Abgang verschaffen konnte. Was seine Stellvertreterin nach ihrem Dienst tat und von wem sie sich dabei begleiten ließ, Mann oder Frau, interessierte ihn nicht im geringsten.
»Ich bin eigentlich geschäftlich unterwegs und stehle meiner Firma Zeit«, meinte Hartung mit einem verschmitzten Grinsen. »Ich mußte dringend eine Ladung Kugellager zu einer Fabrik in Lublin bringen, und übermorgen kehre ich wieder nach Danzig zurück.«
»Jan«, erkundigte sich Dr. Duszynska und starrte auf die Tür, die zur Krankenabteilung führte, »wie geht es ihm?«
»Sein Zustand ist stabil. Gehen Sie nur. Sie haben sich wohl eine Menge zu … erzählen.«
Nachdem man sich gegenseitig frohe Weihnachten gewünscht und sich voneinander verabschiedet hatte, verharrte Dr. Jan Szukalski noch eine Weile auf der Stelle und blickte den beiden nach, wie sie den Gang hinuntereilten. Bevor sie den Ausgang erreichten, sah er, wie Hartung und Dr. Duszynska sich in die Arme fielen und sich innig küßten. Dann traten sie hinaus ins Freie und verschwanden in der schneeverhangenen Nacht. Szukalski schaute ihnen noch einen Augenblick hinterher, dann wandte er sich um und humpelte, mit anderen, wichtigeren Dingen beschäftigt, in sein Büro zurück.
Hans Keppler, der seinen Kragen gegen den Wind hochzog, wußte nicht, wohin er gehen sollte. Er befand sich auf dem unteren Absatz der Treppe, die in die Kirche führte, und starrte ins Leere.
Tief in seiner Seele, dort wo einst das Licht, die Hoffnung und der Mut eines stolzen Soldaten ihren Platz gehabt hatten, breiteten sich nur noch Öde und Finsternis aus. Er hatte sein Vaterland verraten.
Er wußte, daß seine Großmutter mit den Weihnachtsüberraschungen auf ihn wartete, mit denen sie ihn schon als Kind verwöhnt hatte, doch er war nicht in der Lage, die paar Schritte bis dorthin zu gehen. Er verspürte das Bedürfnis nach einem längeren Spaziergang.
{41} Am anderen Ende des Platzes, genau gegenüber der Kirche, befand sich das düster wirkende Hauptquartier der Deutschen, von Hakenkreuzflaggen umweht und von zwei schwer bewaffneten Soldaten bewacht. Die Deutschen waren jetzt die Herren in Sofia, und sie regierten mit unerbittlicher Härte. Obwohl die Sperrstunde noch nicht angebrochen war, ließen die jeweils zu zweit patrouillierenden Soldaten den abendlichen Spaziergängern keine Ruhe. Jeder, der sich nach Anbruch der Dunkelheit auf der Straße befand, wurde angehalten und ausgefragt. Aber Keppler wußte, daß man ihn nicht ausfragen würde. Das einzige, womit man ihn bedenken würde, wäre der deutsche Gruß, so daß er, SS -Rottenführer Hans Keppler, im Gegensatz zu den anderen zehntausend Einwohnern von Sofia als einziger das Privileg genießen durfte, unbehelligt die Straßen zu durchstreifen und seinen Gedanken nachzuhängen.
Als er seinen Koffer hochhob, überlegte der junge Soldat, ob es in der Hölle genauso kalt war.
Szukalski genoß seinen schwachen Kaffee, denn er wußte, daß die Vorräte langsam zu Ende gingen und keiner sagen konnte, wann es in Sofia wieder Kaffee gäbe.
Er dachte über seine Stellvertreterin nach, eine Ärztin aus Warschau, die vor genau einem Jahr nach ihrer Abschlußprüfung an sein Krankenhaus gekommen war und nun mit Maximilian Hartung einen privaten Abend verbrachte. Szukalski ärgerte sich darüber, daß er seine Vorurteile in seine Bewertung
Weitere Kostenlose Bücher