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Nackt unter Wölfen

Nackt unter Wölfen

Titel: Nackt unter Wölfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Apitz
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die Spanne. Konnte er sich in der Zelle verkriechen? Musste er dem Mandrill an die Gurgel springen? Oder gab es im Bunker einen Winkel, in dem er sich verstecken konnte? Angstvoll jagten sich die Gedanken.
    Ähnlich wie ihm erging es Höfel und Kropinski. Die Todesnacht war über sie hinweggeschauert. Sie wussten von sich, dass sie noch die einzig Lebenden im Bunker waren, denn sie sollten die letzten Toten sein. Sie standen eng zusammen, Schutz suchend einer am andern. Im Schimmer des durch das Zellenfenster hereingeisternden Morgens sahen sie ihre Gesichter, und einer sah im Ausdruck des anderen das seine, mit krankhaft großen, aufgerissenen Augen und gehetzter Lebensangst in den Zügen. Kropinski flüsterte:
    »Vielleicht Mandrill gar nicht mehr da? Vielleicht er haben alles umgebracht und ist fort?«
    Höfel verneinte heftig. »Er ist noch da. Ich weiß es, ich fühle es. Wenn sie alle schon geflohen wären, dann hätten sie uns mit den anderen umgelegt. Er kommt noch zu uns. Heute kommt er …«
    Höfels gehetzter Blick irrte durch die kahle Zelle und blieb an der Tür hängen. Sie füllte fast die Breite der Zelle aus.
    »Pass auf, Marian, so machen wir es.«
    Höfel presste sich in die Ecke an der Tür. »Hier werde ich stehen und du dort.« Höfel wies auf die gegenüberliegende Ecke. Kropinski drückte sich in sie hinein.
    »Wenn er hereinkommt, packst du ihn sofort an der Kehle und drückst zu. Getraust du es dir?«
    Der sanfte Kropinski veränderte sich. Er zog die Augen zusammen, der Unterkiefer schob sich vor, und die Hände schlossen und öffneten sich langsam.
    »Ich ducke mich und reiße ihm die Füße weg. – Nein!«, sprudelte Höfel, »anders! Wenn er hereinkommt, dann gebe ich ihm mit aller Kraft einen Schlag gegen den Magen, das nimmt ihm die Luft, und du drückst ihm die Kehle zu.«
    Sie sahen sich fiebrig an, prüften im Gesicht des anderen ihren Willen und ihre Kraft, drückten sich eng an die Wand{, als warteten sie in jedem Augenblick, dass sich die Tür öffnen würde} und warteten, warteten …
     
    Es wurde hell. Die Nacht war wie keine zuvor aufgewühlt worden durch den Widerhall des Krieges, denn in dieser Nacht war Erfurt gefallen und somit der direkte Weg nach Weimar aufgetan, für den der vordringende Amerikaner zum entscheidenden Stoß ansetzte.
    Das pausenlose Gedröhn verstärkte sich von Stunde zu Stunde. Das Land rings um das Lager war zum Kampfgebiet geworden.
    Nichts jedoch wussten die 21   000 noch verbliebenen Häftlinge davon, dass in dieser unruhigen Nacht ein grauenvoller Mord durch den Bunker gerast, nichts davon, dass der gefährliche Kluttig als Erster geflohen und dass die anderen SS-Offiziere fieberhaft Fluchtvorbereitungen trafen und ihre Autos bereitstanden. Heute oder nie mussten die Faschistenfliehen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollten, von den Amerikanern gefangen zu werden.
    Noch aber waren sie da. Noch standen die Doppelposten auf den Türmen. Im steigenden Licht des Morgens traten ihre schwarzen Gestalten immer deutlicher hervor, drohend in ihrer Unbeweglichkeit, den breiten Mantelkragen gegen den nassen Frost aufgestülpt.
    Ein Befehl, ein Ruck an den Maschinengewehren, den Panzerfäusten und Flammenwerfern – und zehn Minuten konzentriertes Feuer würde ausreichen, alles Leben innerhalb des Zaunes auszulöschen.
    Dieser Katastrophe rechtzeitig durch den bewaffneten Aufstand zuvorzukommen war der letzte im Morgengrauen gefasste Beschluss des ILK gewesen. Von nun an galten nur noch die Befehle, die Bochow als militärischer Verantwortlicher zu erteilen hatte.
    Auf seinen Befehl hin hielten sich in den Blocks die Gruppen aufbruchbereit, waren die Waffenverstecke erneut vom Lagerschutz besetzt worden. Unter möglicher Deckung gegen die Posten der umliegenden Türme hielten Beauftragte des Lagerschutzes das Tal am Nordhang des Lagers unter ständiger Beobachtung. Sie waren sogar mit Feldgläsern ausgerüstet.
    In der Ferne rollte und grollte ununterbrochen der Donner. Manchmal waren die Einschläge schon so nah, als krepierten nur wenige hundert Meter vor dem Zaun die Granaten. Die Unruhe hatte die Häftlinge schon zeitig aus den Blocks getrieben. Sie standen auf den Wegen, beobachteten misstrauisch die Türme und das Tor. Plötzlich geriet alles in Bewegung. Am aufklarenden Himmel raste eine Kette amerikanischer Jabos über das Lager hinweg. Die Häftlinge jubelten: »Sie kommen, sie kommen!« Aber die Flugzeuge verschwanden in der Ferne. Auch Bochow war

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