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Nackt

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Titel: Nackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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Blitzlichtbatterien oder einer Duftkerze in Form eines Kartoffelbovists erschöpfte. Patent und gutgelaunt normal, wie sie war, verkörperte Lisa alles, was ich deprimierend fand. Nichts unterschied sie von den Tausenden anderen Mädchen, die ich jeden Tag zu sehen bekam, aber das störte sie überhaupt nicht. In ihrem Bestreben, typisch zu sein, hatte sie mit fliegenden Fahnen – in gedeckten Tönen – gewonnen. Im Gegensatz zu mir würde sie sich nie tiefere Gedankengänge gestatten oder mit einem Nasenaffen in ferne Länder reisen. Nicht nur sie nicht, niemand. Genau wie alle anderen hatte sie ihre Seele gegen ein läppisches Weihnachtsgeschenk eingetauscht und musste nun die Konsequenzen tragen.
    Die Tage wurden festlicher und mit ihnen wuchs meine Ungeduld. Vier Tage vor Weihnachten sollten wir uns ins Esszimmer setzen, um Lisas achtzehnten Geburtstag zu feiern, als sie von jemandem angerufen wurde, der sich wie eine ausgewachsene Frau mit einem Mund voller Kieselsteine anhörte. Als ich fragte, wer denn dran sei, zögerte die Frau, bevor sie sich als «eine Freundin. Ich bin eine gottverdammte Freundin, alles klar?», vorstellte. Das erregte meine Aufmerksamkeit, denn soweit ich wusste, hatte Lisa keine erwachsenen Freunde oder Freundinnen, seien sie nun gottverdammt oder nicht. Ich gab ihr den Hörer und beobachtete, wie sie das Telefon in die Einfahrt trug und dabei die Schnur bis zum Zerreißen straffte. Dies war streng verboten, und weil mir gerade danach war, ein bisschen Stunk zu machen, petzte ich: «Dad, Lisa ist mit dem Hörer nach draußen gegangen, und gleich reißt sie die Telefonschnur aus der Wand.»
    Er wollte aus seinem Sessel aufspringen, aber meine Mutter sagte: «Lass sie doch um Gottes willen zufrieden; sie hat heute Geburtstag. Wenn das Telefon kaputtgeht, kauf ich dir zu Weihnachten ein neues.» Sie bedachte mich mit dem Blick für achtbeinige Geschöpfe unter dem Küchenspülstein. «Du musst immer in der Scheiße stochern, stimmt’s?»
    «Sie spricht aber mit einer Frau! », sagte ich.
    Meine Mutter drückte ihre Zigarette auf dem Teller aus. «Na und, du auch.»
    Lisa kam gehetzt und aufgeregt an den Tisch zurück und fragte meine Eltern, ob sie den Kombi haben darf. «David und ich sind in spätestens einer Stunde zurück», sagte sie und griff sich unsere Mäntel aus der Garderobe.
    «Welcher David?», fragte ich. «Dieser David bleibt, wo er ist.» Ich hatte gehofft, den Abend in meinem Schlafzimmer zu verbringen und am Pastellporträt von Sokrates zu arbeiten, das ich mir still zu Anti-Weihnachten schenken wollte. Wir standen in der dunklen Einfahrt und verhandelten, bis ich mich bereit erklärte, sie zu begleiten, ohne Fragen zu stellen, Kostenpunkt: drei Dollar, sowie uneingeschränkte Benutzung ihres neuen Föns. Nachdem das geregelt war, stiegen wir ein und fuhren an den hell geschmückten Häusern der Nordstadt vorüber. Normalerweise verlangte Lisa die strikte Kontrolle über das Radio. Beim Anblick meiner Finger, die sich der Senderwahl näherten, haute sie mir auf die Hand und drohte, mich aus dem Auto zu werfen, aber heute Abend machte sie mir keinen Kummer und beschwerte sich nicht einmal, als ich eine hiesige Talkrunde einstellte, die sich eindringlich mit High-SchoolBasketball beschäftigte. Ich konnte Basketball nicht ausstehen und hatte das nur eingestellt, um sie zu ärgern. «Sieh dir diese Spartaner an», sagte ich und knuffte ihr die Schulter. «Meinst du, sie haben den nötigen Pep, beim Lokalderby die Kobolde zu schlagen?»
    «Mir wurscht. Weiß nicht. Vielleicht.»
    Etwas hatte sie eindeutig meinem Zugriff entzogen, das machte mich rasend, und das, was mich rasend machte, fühlte sich stark an wie Eifersucht. «Was ist denn nun? Treffen wir jetzt die Mutter deines Freundes? Wie viel musst du ihr zahlen, damit er mit dir ausgehen darf? Du hast einen Freund, stimmt’s?»
    Sie ignorierte meine Fragen und murrte still vor sich hin, als sie uns am Kongressgebäude von North Carolina vorbei in einen besiegten Stadtteil fuhr, in welchem die Veranden nachgaben und an den meisten Fenstern nicht Gardinen und Vorhänge hingen, sondern Laken und Handtücher. In solchen Gegenden wurden Menschen erstochen; das hörte ich die ganze Zeit in meinen Rundfunksendungen, bei denen man anrufen konnte. Wäre mein Vater gefahren, hätten wir alle Türen verriegelt, die STOP-Schilder ignoriert und wären so schnell wie möglich durchs Gelände gebraust. So machte man das, wenn man

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