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Nächsten Sommer

Nächsten Sommer

Titel: Nächsten Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Rai
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Steinhaus, neben dem blaue, rote und gelbe Bienenstöcke wie Farbkleckse in der Landschaft stehen.
    Marc wühlt sich durch den Kofferraum, bis er unter einem Knäuel aus Abschleppseilen und Überbrückungskabeln den Verbandskasten entdeckt, den Bernhard gestern vergeblich gesucht hat. Er stellt ihn zwischen Jeanne und Bernhard auf die Rückbank, |165| kniet schwerfällig nieder, hält sich den Kopf, bis er nicht mehr brummt, und sagt: »Lass mal sehen.«
    Bernhard würde gerne etwas beitragen. Nichts erfüllt ihn mehr, als für jemanden da zu sein. Doch dieses viele Blut … Während Marc vorsichtig an Jeannes Ferse herumdrückt, die kaum Notiz davon nimmt, und eine Scherbe von der Größe eines Zweicentstücks aus dem Fleisch zieht, hält Bernhard ihre Hand, verzieht das Gesicht und wendet den Kopf ab. Angesichts solcher Hilflosigkeit wird selbst Zoe von Mitgefühl ergriffen. Am Ende nimmt sie Bernhards freie Hand in ihre. Im Rückspiegel zeigt sich mir ein Bildnis der Nächstenliebe: Marc, der zu Füßen seiner Madonna kniet, Jeanne, Bernhard und Zoe auf der Rückbank, einer des anderen Hand haltend.
    Marc sieht auf und schmunzelt. »Keine Angst«, sagt er und reißt mit dem Mund die Verpackung einer Mullbinde auf, während er eine Kompresse gegen Jeannes Ferse drückt. Es ist klar, dass er Bernhard meint, auch wenn nicht klar ist, warum. »Ist gleich vorbei.«
    Noch vor zwei Tagen hätte Marc ihn provoziert, heute jedoch ist seine Stimme frei von Ironie – kein Witz, kein doppelter Boden. Er legt den Verband an, fixiert das Ende mit Gaffa, weil das Klebeband aus dem Verbandskasten nicht mehr klebt, und hält die blutige Scherbe hoch wie eine herausoperierte Revolverkugel.
    »Die schlechte Nachricht ist«, sagt er und inspiziert die Scherbe im Gegenlicht, »der Fuß muss genäht werden.«
    Zoe hilft auf ihre Weise: »Was hast du denn für ’ne Schuhgröße – achtunddreißig? Dein Fuß sieht aus wie eine Achtunddreißig.«
    Jeanne betrachtet ihren Fuß und fragt sich, woran Zoe erkannt hat, dass er Größe 38 hat.
    Zoe steigt aus, geht um den Bus, öffnet ihren Koffer und kommt mit einem in Knisterpapier eingeschlagenen Paar Schuhe zurück. »Hier«, sie reicht Jeanne die Schuhe, »schenk ich dir. Sind superbequem.«
    Jeanne fördert goldene Schläppchen zum Vorschein, die wie Gymnastikschuhe für Kinder aussehen. Offenbar passen sie wie angegossen.
    Mit dem Blick folge ich der Wellenlinie einer Lavendelreihe, die |166| sich meinem Sichtfeld entzieht, als sie hinter dem Haus mit den Bienenstöcken verschwindet. Über dem Feld vereint sich das Summen zahlloser Insekten. Vielleicht, denke ich, fallen wir alle wieder auseinander, sobald wir Onkel Hugos Haus erreicht haben oder zurück in Berlin sind. Doch vielleicht, denke ich weiter, kommt es darauf auch gar nicht an.
    »Chanel?« Jeanne dreht unsicher einen Schlappen in den Händen. »Die kosten doch mindestens dreihundert Euro.« Ihr Akzent macht aus den Euros »Eaureaus«.
    »Das will ich hoffen«, antwortet Zoe, »immerhin hat Ludger mir die geschenkt.«
    Für Jeanne laufen gerade einige Informationen zu viel zusammen. »Wär ist Loudgere?«
    Zoe verdreht ihre großen Augen. »Ludger ist jemand, der dir teure Geschenke macht, mit dir ins Bett geht, dir Liebe schwört und bei seiner Frau bleibt.«
    »Ah«, sagt Jeanne, »ein Franzose, ja?« Und zu Marc: »Danke für die Verband.«
    »Du hast verdammt schnell Deutsch gelernt«, antwortet Marc.
     
    Im Gegensatz zu Pui ist Riez eine richtige Stadt. Die Häuser muten nicht wie Kulissen für einen provenzalischen Western an, die Straßen sind beschildert und führen nicht nur im Kreis herum. Es gibt Geschäfte, Kneipen, eine Apotheke. Neben einem Zeitschriftenkiosk hängen, an die Mauer gefesselt, die ersten Schlauchboote der Saison und warten auf Touristen. Dazu Käfige mit Bällen, Paddeln, Taucherbrillen.
    Wir parken auf einer Rasenfläche abseits des Dorfplatzes. In einer Senke stehen vier korinthische Säulen, als seien sie dort vergessen worden. Es sind die Überbleibsel eines Apollotempels aus der Zeit von Asterix und Obelix, als die Römer kamen und die gallischen Stämme nach Norden vertrieben, bis nur noch ein Dorf übrig war. Nach ihrem Abzug blieben nutzlose Tempel und der Weinanbau.
    Gemeinsam mit uns treffen die ersten Autos aus den umliegenden Dörfern ein. Heute ist Markttag. Die Händler bauen gerade ihre Stände auf. Marc und Bernhard nehmen die hinkende Jeanne |167| in ihre Mitte und ziehen los,

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