Nächsten Sommer
eine Frage der richtigen Proportion«, antworte ich.
Zoe legt den Kopf auf dem Busdach ab und schließt die Augen. »Der Felix …«, sagt sie wie zu sich selbst, »… hat ganz schön Oberwasser heute Morgen.«
Jeannes Fuß ist versorgt. Sie sind der Frau des Apothekers in die Arme gestolpert, die gleich den Arzt herausgeklingelt hat, der über der Apotheke ihres Mannes seine Praxis hat. Zwanzig Minuten später war die Wunde desinfiziert, genäht und verbunden, und Jeanne hatte gleich noch eine Tetanus-Auffrischung bekommen, schönen Sonntag noch, »pas la peine d’en parler«, und legen Sie Ihren Fuß hoch, Kindchen!
Jeanne lächelt dieses Lächeln, das sie zugleich glücklich und traurig aussehen lässt. Wie ein verkehrtes Sprichwort, denke ich, »jeder Anfang ein neues Ende« oder so. Zwischen Bernhard und Marc, die sie stützen, ist sie ein blasses, zartes Bündel aus Melancholie, geschredderten Illusionen und Aufbruchswillen. Bei so viel emotionaler Energie weiß Marc vor Begeisterung gar nicht, wohin mit sich.
Zoe blickt auf die goldenen Gymnastikschlappen hinab. »Stehen dir ganz klar besser als mir.«
Bernhard war so geistesgegenwärtig, im Kiosk eine Michelin-Karte zu kaufen: Provence – Côte d’Azur, Maßstab 1:200000. |170| Damit wir ab sofort wissen, wo es langgeht. Während Marc, Jeanne und Bernhard im Bus sitzen und frühstücken, breiten Zoe und ich die Karte zwischen uns aus. Sogar Pui ist verzeichnet. Dabei war ich mir nicht einmal sicher, ob der Ort tatsächlich existiert.
»Schau mal«, sagt sie und taucht ihren Finger ins Mittelmeer, »das ist es doch, oder – la Ciotat?«
Ich lege meinen Finger auf Riez. So weit, wie befürchtet, sind wir gar nicht vom Weg abgekommen. Es gibt eine Landstraße, die Riez in östlicher Richtung verlässt und anschließend nach Süden abbiegt. Sie wechselt die Namen – D11, D13, D71, D554, D560, N560 –, doch am Ende führt sie ohne Unterbrechung bis nach la Ciotat.
»Wie weit ist das?«, fragt Zoe.
Auf der Karte sieht es aus, als müssten wir halb Frankreich durchqueren, doch der Maßstab täuscht. In Wirklichkeit sind es nur …
Ich spüre einen Kloß im Hals. »Hundertzwanzig Kilometer.«
»Mehr nicht?« Zoes Augen leuchten wie vorhin, als sie mir den Käse in den Mund gesteckt hat. »Was glaubst du, wie lange wir brauchen?«
Ich taste nach dem Schlüssel in meiner Hosentasche. Inzwischen schnürt sich mir die Kehle zu. »Zwei Stunden?«, schlage ich vor.
»Das heißt, wir könnten um elf Uhr da sein?«
»Denke schon.«
»Das ist ja Wahnsinn! Hey, ihr da unten auf den billigen Plätzen!« Zoe schlägt mit der flachen Hand auf das Dach und beugt sich über die Reling. »Bis Mittag sind wir da!« Sie lächelt mich an und greift nach meiner Hand. »Du bist scheiße aufgeregt, stimmt’s?«
»Ich glaube, diese Reise macht mit uns allen komische Sachen«, antworte ich.
Zoe drückt meine Finger. »Wär ich auch an deiner Stelle.«
Bevor wir vom Dach steigen, berührt sie mich noch einmal am Arm. »Weißt du, was komisch ist?« Mit dieser Geste, die nur Frauen mit langen, glatten Haaren zu eigen ist, streicht sie sich |171| das Haar über die Schulter. »Ich dachte immer, du gibst dich nur mit mir ab, weil Marc mit mir befreundet ist.«
Das Licht bricht sich in den Blättern und wandert in Grüppchen ihren Nacken hinauf.
Ich antworte: »Und ich dachte immer,
du
gibst dich nur mit
mir
ab, weil ich mit
Marc
befreundet bin.«
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Ab jetzt sitzt Zoe neben mir, den Rücken zur Fahrtrichtung, den Blick in die Vergangenheit gerichtet, die Karte auf dem Schoß. Wir können uns eigentlich nicht mehr verfahren, trotzdem kontrolliert sie dienstbeflissen jede neue Ortschaft auf der Karte. Am liebsten würde sie bunte Nadeln einstechen und mit einem Faden verbinden.
Im Rückspiegel sehe ich Jeanne, die ihren Fuß auf den Notsitz gelegt hat, Marc, der so aussieht, als habe er gerade eine unbekannte Droge genommen und warte jetzt darauf, was die gleich mit ihm anstellt, und Bernhard, der die meiste Zeit aus dem Fenster starrt und sich fragt, weshalb immer
er
es ist, der übrigbleibt. Das fünfte Rad am Wagen.
Ich fahre nicht schneller als siebzig, selbst wenn sich die Straße schnurgerade über die Ebene zieht. Sonst drückt der Fahrtwind die Scheibe in den Bus. Quinson ist der erste Ort nach Riez. Noch bevor wir ihn erreichen, schließen sich Jeannes Augen, und ihr Kopf sinkt schwer auf Marcs Schulter. Kaum haben wir den Ort verlassen, ist auch
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