Nächsten Sommer
machen sollen. Wein, Weib, Gesang … War’n Fehler von ihm, Frankreich auszulassen.«
I’m gonna ride … I’m gonna ride …
Inzwischen träumen Cat Power und eine einsame Akustikgitarre davon, auf einem geklauten Pferd einer ungewissen Zukunft entgegenzureiten,
the devil close behind
. Reiten, reiten, immer weiter, auf der Suche nach etwas, von dem man erst weiß, was es ist, wenn man es gefunden hat. Was natürlich nie passieren wird. Egal, scheiß drauf – letztlich geht es ums Suchen, nicht ums Finden.
Bei Bernhard kommt von der Aufbruchsstimmung nichts an. Er scheint immun zu sein, sitzt gefangen in seinem Groll auf der Rückbank, spricht nur, wenn er etwas gefragt wird, bewegt sich nur, wenn es nicht anders geht, und trägt dabei den Ausdruck eines gedemütigten Hundes zur Schau.
Als wir an einem weiteren Straßenschild vorbeifahren, kommt plötzlich Leben in ihn. »Magdeburg?«, ruft er von hinten. »Warum fährst du denn nicht über Leipzig? Das ist doch mindestens eine Stunde Umweg!«
»Echt?« Marc grinst in den Rückspiegel: »Geil – dann können wir ja noch eine Stunde länger unterwegs sein.«
|27| 6
Bernhard wird von seinen Gedanken umkreist: Dass er seine Mutter nicht einen Tag alleine lassen kann, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Dass er die Vorstellung nicht erträgt, Zoe am Montag mit Ludger in einem Flugzeug nach Chicago zu wissen. Zoe, die Bernhards Hingabe seit Jahren mit Füßen tritt und sich stattdessen lieber unglücklich macht. Überhaupt: dieser Ludger. Nutzt sie doch sowieso nur aus. Hält sie wie ein Schoßhündchen, um sie auf Zuruf Kunststückchen machen zu lassen. Doch was soll sie tun? Sie liebt Bernhard nicht. Steht wahrscheinlich irgendwo geschrieben, wie ein Naturgesetz oder so. Was für ein Scheiß. Echt.
Irgendwann wird es hügelig. Die Sonne hat den höchsten Punkt erreicht, das Licht ist fast weiß. Die Luft, die mir bis eben den Mund ausgetrocknet hat, wird plötzlich kühl. Reste der Nacht hängen noch zwischen den Tannen. Sobald es bergauf geht, beginnt der Motor zu stöhnen, und der Auspuff klappert so laut, dass selbst die Red Hot Chili Peppers ihn nicht zum Schweigen bringen können. Immer wieder muss Marc in den dritten runterschalten und den Hebel festhalten.
Als wir einen noch langsameren LKW überholen, duckt sich ein schwarzer Sportwagen hinter uns, den Bernhard als Maserati identifiziert. Er fährt so dicht auf, dass durch die Heckscheibe nur noch sein Dach zu sehen ist. Kaum wechseln wir wieder auf die rechte Spur hinüber, schießt er vorbei und steuert direkt vor uns eine Tankstelle an. Zeitersparnis: ungefähr zwei Zehntelsekunden.
Als ich frage, wo wir sind, antwortet Marc: »Kasseler Berge – Kinderspiel.«
Und in diesem Moment wird mir klar, weshalb er diesen Umweg auf sich genommen hat. Ich sehe ihn an. Seine Sonnenbrille ist stur auf die Fahrbahn gerichtet. Doch er beginnt zu schmunzeln. |28| Ich sage nichts. Was könnte ich auch sagen? Dass ich ihm dankbar bin? Für alles? Weiß er längst. Und will es sowieso nicht hören.
Kurz hinter Kassel, die Hügel haben sich wieder geglättet, steuert Marc einen unscheinbaren Rastplatz an, kuppelt aus, wartet, bis der Bus steht, und dreht den Zündschlüssel. Ruhe. Kein Klappern, keine Musik. Es ist, wie aus der Helligkeit in einen abgedunkelten Raum zu treten. Allmählich dringt das Sirren des Verkehrs zu mir durch, später auch Vogelgezwitscher.
»Wir sind da«, sagt Marc.
Bernhard sieht sich um: eine Böschung, ein paar Bäume, die den Rastplatz von der Autobahn abgrenzen, zwei Holzbänke, die von einem schmierigen Film überzogen sind, dazwischen ein einbetonierter Mülleimer. Kein Mensch außer uns.
»Wo?«, fragt er.
Es war am 9. Oktober, drei Tage vor meinem achtzehnten Geburtstag. Marc sollte mit einer Band auf Tour gehen, den Death Chunks. Folglich würde mein Geburtstag bestehen aus: Kuchen, dem traurigen Lächeln meiner Mutter und Schweigen. Mein letztes Schuljahr hatte gerade begonnen. In zehn Monaten hätte ich mein Abi in der Tasche.
Die Death Chunks waren alle mindestens fünf Jahre älter als Marc. Ihre Musik kreuzte Aggression mit Todessehnsucht. Als ich Marc fragte, weshalb er da mitspielte, wo er doch eigentlich auf Melodien stand, antwortete er: »Manchmal will man auch einfach nur den Verstärker aufreißen.«
Für die Tour hatten sich die Death Chunks einen Kleinbus gemietet. Am Tag der Abreise standen Marc und dieser Bus um Viertel vor acht bei mir vor dem
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