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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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und Liz schwört, es ist Mozart. Wer immer hier also lebt, oder gelebt hat und, dem Geruch nach zu schließen, vor kurzem den Löffel abgegeben hat, es war jemand mit musikalischen Neigungen. Ich lenkte gleich die Aufmerksamkeit der Prinzessin auf diese Andenken, aber sie waren in sich nicht ausreichend, sie aufzuheitern.
    Wir entzündeten die Lampe und machten mit dem Holz, das Samson im Schuppen hinter dem Haus fand, ein Feuer, damit der Sterblichkeitsgeruch sich ein wenig aus dem alten Haus verzöge, ehe wir die Tür zum dritten Zimmer öffneten.
    Dort wie als Antwort auf ein stummes Gebet tatsächlich nicht nur ein Photo, sondern einen realen Flügel zu finden! Mit aufgeklapptem Deckel, wie ein großer schwarzer Schmetterling, der sich gerade hingesetzt hat, und oben auf dem Flügel ein Metronom. Die Prinzessin sagte nichts, doch der glasige Ausdruck wich aus ihren Augen, und sie öffnete und schloß ihre Finger und klatschte wie ein entzücktes Kind in die Hände. Im Augenblick wieder zu sich kommend sprang sie auf das Instrument zu, doch da erhebt sich etwas Großes, Hageres, uns bisher durch den Ebenholzschmetterling verborgen, von einem unsichtbaren Hocker vor der Tastatur und stößt einen klagenden Schrei aus.
    Die Schatten, welche die von Liz emporgehaltene Lampe warfen, ließen ihn furchterregend, beinahe leichenhaft erscheinen. Haare bis zum Hintern, vermengt mit seinem Bart, der ihm bis zum Nabel reicht, und seine Fingernägel lang wie die vom Struwwelpeter. Man konnte sehen, daß er sich schon seit langer, langer Zeit nicht mehr getraut hatte, das Klavier anzurühren, obwohl er sich jetzt schützend über die Tasten warf, die so ein Pandämonium greller Noten von sich gaben, daß man hörte: auch das Instrument war seit Jahren nicht mehr gestimmt worden. Zweifellos dachte er bei unserem ersten Anblick, eine Horde Bären sei gekommen, um ihn zu besuchen. Er schrie wiehernd, seine Grashüpfergliedmaßen zuckten nach allen Richtungen, was eine Fülle atonaler Effekte hervorrief, und dann krabbelte er auf das Ding hinauf und schwenkte die Arme, als wolle er es entweder mit seinem Leben verteidigen oder in seine Eingeweide hinabtauchen, um dort Schutz zu suchen, er schien sich nicht ganz klar darüber zu sein. Das Metronom stieß er um, so daß es auf den Grätenteppich fiel und dort, auf der Seite liegend, wie eine Uhr zu ticken begann.
    »Verrücktes Huhn«, sagte Liz. »Reif für die Zwangsjacke.«
    Die Prinzessin stieß leise, maunzende Laute aus und streckte ihre Hände flehend dem Klavier entgegen, daß es das Herz eines Steins hätte erweichen können, doch der wahnsinnige alte Mann wußte nicht mehr, daß er ein Herz hatte. Mignon war es, die Lizzie mit brüsker Geste zur Seite wies, das tickende Metronom zertrat, sich räusperte, säuberlich ausspuckte und zu singen begann.
    Als wir sie zum erstenmal singen hörten, in meinem Zimmer im Hotel de l’Europe, da klang es, als sänge sich das Lied selbst, als habe das Lied gar nichts mit Mignon zu tun und als sei sie nur eine Art fleischliches Grammophon, geschaffen, Musik wiederzugeben, die ihr nicht bewußt war. Das war, ehe sie eine Frau wurde. Nun ergriff sie das Lied im geschmeidigen Lasso ihrer Stimme und vermählte es mit ihrer neuentdeckten Seele, so daß das Lied sich vollkommen veränderte und doch sein Wesen unberührt blieb, wie ein vertrautes Gesicht dasselbe bleibt, wenn es aufs neue von dem Blick der Liebe aufgesucht wird. Wenn sie auch a capella sang und uns so nur die Hälfte des Liedes gab, war es doch beinahe zuviel für mich, denn sie wählte das letzte Lied der Winterreise, wo der wahnsinnige junge Mann hinter dem Leiermann her in das Schneetreiben verschwindet. Und wird sich auch die Winterreise des jungen Mannes, der so fern von mir ist, einem solchen Ende zuneigen? Und meine eigene Reise, wie ist es mit ihr? Meines Schwertes beraubt, verwundet und gelähmt... eine Sensation von gestern, ein verblichenes Mirakel... nimm dich bloß zusammen, Mädchen.
    Der haarige alte Mann fuhr während der ersten Strophe fort, sich zu kratzen, wurde während der zweiten etwas langsamer und bei der dritten streckte er erst ein langes Bein vor, dann das andere, man hörte die Knochen knacken, und dann fiel er auf den Klavierhocker nieder. Ich habe nie ein so verstimmtes und grell klingendes Instrument gehört wie da, als er die kleine Melodie aus der Begleitung aufgriff, welche die Drehorgel nachahmt. Ganz langsam, mit einem wahrnehmbaren Klicken

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