Nana
mehr, als Satin am Morgen des vierten Tages verschwand. Niemand hatte sie das Haus verlassen sehen. Von einem Bedürfnis nach frischer Luft, von der Sucht nach der Straße erfaßt, war sie in dem neuen Kleide, das sie von Nana erhielt, durchgegangen.
An diesem Tage gab es ein solches Ungewitter im Hause, daß die Dienstleute nicht aufzublicken oder ein Wort zu reden wagten. Nana war nahe daran, Franz zu prügeln, weil er sich nicht vor die Türe gestellt hatte. Sie gab sich Mühe, sich zu mäßigen; sie schimpfte Satin eine schmutzige Vettel; sie werde sich hüten, ähnliche Schmutzfinken aus dem Straßenschmutz aufzulesen. Nachmittag schloß Madame sich ein, und Zoé hörte sie weinen. Am Abend ließ sie anspannen und fuhr zu Laura. Es kam ihr der Gedanke, daß sie Satin an der Eßtafel der Märtyrerstraße finden werde. Sie suchte sie nicht etwa, um sie wieder zu erlangen, sondern nur, um ihr die Augen auszukratzen. Tatsächlich aß Satin an einem kleinen Tische in Gesellschaft der Madame Robert. Als sie Nanas ansichtig wurde, begann sie zu lachen. Diese, im Innersten getroffen, machte keine Szene, benahm sich vielmehr sehr sanft und nachgiebig. Sie zahlte Champagner, daß die Gesellschaft von fünf, sechs Tischen sich betrinken konnte, dann benutzte sie einen Augenblick, als Madame Robert sich in einem Nebenkabinett befand, und entführte Satin. Im Wagen erst brach der Sturm los; sie biß Satin und drohte, sie zu töten, wenn sie noch einmal durchgehen solle.
Das wiederholte sich indes häufig. Satin, gelangweilt von dem Wohlergehen im Haus und geplagt von ihren schmutzigen Instinkten, lief zwanzigmal davon, und Nana – geradezu tragisch in ihrer Wut einer betrogenen Frau – machte sich immer wieder an ihre Verfolgung. Sie sprach davon, Madame Robert ohrfeigen zu wollen; eines Tages dachte sie sogar an ein Duell; eine von ihnen beiden sei überflüssig in dieser Welt. Wenn sie jetzt bei Laura speiste, legte sie ihre Brillanten an und brachte zuweilen Louise Violaine, Maria Blond, Tatan Néné mit, die ebenfalls in Glanz und Pracht erstrahlten. Hier in dem Getümmel der drei Säle unter dem fahlen Lichte der Gasflammen wälzten nun diese Damen sich mit ihrem Luxus im Schmutze, glücklich darüber, die Bewunderung der armen Dirnen des Stadtviertels zu erregen, die sie dann nach aufgehobener Tafel mitnahmen. An solchen Tagen strahlte Laura vor Stolz; eingezwängt in ihrem Mieder saß sie glücklich da und küßte alle Welt mit doppelt mütterlicher Zärtlichkeit. Satin bewahrte mit ihrem reinen, jungfräulichen Gesichte inmitten dieser Geschichten ihre Ruhe. Gebissen, geschlagen, hin und her gezogen von den beiden Nebenbuhlerinnen, beschränkte sie sich darauf zu sagen: dies sei sehr drollig und besser, wenn die beiden Frauen sich verständigten. Es führe zu nichts, sie zu ohrfeigen; sie könne sich doch nicht entzweischneiden trotz ihrer Gefälligkeit für alle Welt. Schließlich entführte dennoch Nana die Satin; sie überhäufte sie dermaßen mit Liebkosungen und Geschenken, daß sie den Sieg davontrug. Madame Robert war wütend; um sich zu rächen, schrieb sie abscheuliche Briefe an Nanas Liebhaber.
Seit einiger Zeit schien Graf Muffat besorgt zu sein. Eines Morgens hielt er in großer Aufregung Nana einen Brief ohne Namensunterschrift hin, in welchem diese beschuldigt wurde, daß sie den Grafen mit den beiden Brüdern Hugon und mit Vandeuvres betrüge.
Das ist erlogen, rief sie unwillig und im Tone offener Freimütigkeit.
Du schwörst es mir? fragte Muffat erleichtert.
Bei allem, was du willst, bei dem Haupte meines Kindes.
Doch der Brief war lang; in einem weiteren Verlaufe war ihr Verhältnis zu Satin mit grausamer Nacktheit dargelegt.
Jetzt weiß ich, woher der Brief kommt, sagte sie einfach.
Da der Graf auch über diesen Punkt eine Falscherklärung erwartete, fuhr sie ruhig fort:
Nun, das, mein Wölfchen, geht dich nichts an ... Was kann dich das auch kümmern?
Sie leugnete nicht. Er äußerte sich in entrüsteten Worten darüber. Sie zuckte die Achseln über seine Unwissenheit. Das ist ja gang und gäbe; sie versicherte ihn, daß alle ihre Freundinnen das gleiche tun, ja, daß es unter den feinsten Damen der guten Gesellschaft vorkomme. Wenn man sie hörte, gab es nichts Gewöhnlicheres, nichts Einfacheres. Lüge ist Lüge; er habe ja gesehen, mit welcher Entrüstung sie die Beschuldigung die Brüder Hugon betreffend zurückgewiesen habe. Wäre diese Anklage wahr, dann würde sie in der Tat
Weitere Kostenlose Bücher