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Nana

Titel: Nana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Gebet, bereit, die Güter dieser Welt zu verlassen, nur nach dem ewigen Heil verlangend. Heute war sein ganzes Seelenleben durch Nana zerstört. Er betete nicht mehr, höchstens in den Stunden, da die Furcht vor der Hölle ihn erfaßte. Der Gedanke an Gott setzte ihn in Erstaunen. Warum hatte er nicht gleich an Gott gedacht, als sein schwaches Menschentum in Trümmer ging.
    Er suchte unwillkürlich eine Kirche, doch wußte er nicht, wo er war; er verwechselte die Straßen in dieser frühen Morgenstunde. An der Ecke der Chaussee nach d'Autin bemerkte er die Dreifaltigkeitskirche, deren Turm sich undeutlich im Morgennebel abhob. Er ging auf die Kirche zu und stieg die breite Treppe empor. Oben hielt er erschöpft inne, um unter dem Portal ein wenig auszuruhen. Dann trat er ein. Es war sehr kalt in der Kirche, ein eisiger Dunst schwamm unter den hohen Gewölben. Die Seitenschiffe lagen im Dunkel, es war niemand da. Der Graf sank vor dem Gitter einer kleinen Kapelle, neben einem Weihwasserkessel, in die Knie. Er faltete die Hände und suchte nach Gebeten, sein ganzes Wesen rang nach Erhebung. Aber nur die Lippen flüsterten Worte; der Geist war abwesend und irrte draußen unruhig durch die Straßen, wie gepeitscht von einem unerbittlichen Zwange. Er wiederholte: Oh, mein Gott, komm' mir zu Hilfe! Oh, mein Gott, verlaß dein Geschöpf nicht, das deiner Gerechtigkeit vertraut! Ach, mein Gott, ich flehe zu dir, laß mich nicht untergehen unter den Schlägen meiner Widersacher! Keine Antwort. Die Dunkelheit und die Kälte drückte auf seine Schultern. Im Hintergrunde hörte man das Geklapper der schweren Schuhe eines Kirchendiener, der die Vorbereitungen zur Frühmesse traf. Dieses Geräusch störte ihn im Beten. Er erhob sich wieder. Gott war noch nicht anwesend. Warum hätte er in den Armen des Herrn Venot weinen sollen? Was vermochte denn dieser Mann?
    Dann kehrte er mechanisch zu Nana zurück. Vor ihrem Hause fühlte er Tränen sein Antlitz benetzen; es waren nicht Tränen der Klage gegen das Schicksal: es waren die Tränen der Schwäche, der Krankheit. Die Müdigkeit, die Nässe, die Kälte erschöpften ihn. Der Gedanke, in sein düsteres Haus in der Miromesnil-Straße zurückzukehren, stieß ihn ab. Bei Nana war das Tor noch nicht offen; er mußte warten, bis der Hausmeister erschien. Schon als er die Treppe emporstieg, lächelte er im Vorgefühl der Wärme dieses Nestes, wo er nun werde ausruhen und schlafen können.
    Als Zoé seiner ansichtig wurde, machte sie eine Gebärde der höchsten Überraschung. Sie sagte dem Grafen, Madame habe von einer fürchterlichen Migräne heimgesucht, die ganze Nacht kein Auge geschlossen. Doch wollte sie immerhin nachsehen, ob Madame schon eingeschlafen sei. Sie schlüpfte ins Zimmer Nanas, während der Graf im Salon auf einen Sessel niedersank. Im nächsten Augenblick erschien Nana. Sie war aus dem Bette gesprungen und hatte sich kaum die Zeit genommen, einen Rock anzuziehen. So erschien sie mit nackten Füßen, aufgelöstem Haar, zerknittertem Hemd, in der ganzen Unordnung einer Liebesnacht.
    Wie, du bist's wieder? rief sie rot vor Zorn.
    Sie war in der ersten Wut herbeigeeilt, um ihn eigenhändig hinauszuwerfen. Allein, als sie ihn so elend sah, fühlte sie eine Regung des Mitleids.
    Du siehst sauber aus, mein Hündchen, sagte sie in sanftem Tone. Was ist denn los? Du hast auf der Lauer gestanden? Hast dir Kummer gemacht? Wie?
    Er saß in stummer Vernichtung da. Sie begriff, daß es ihm an Beweisen fehle und fuhr fort:
    Du siehst also, daß ich mich geirrt habe. Deine Frau ist rechtschaffen, auf Ehre! Und nun, mein Kleiner, geh' nach Hause und lege dich schlafen. Du hast es nötig.
    Er rührte sich nicht.
    Vorwärts, geh'! Ich kann dich ja nicht hier behalten ... Willst du vielleicht gar zu dieser Stunde hier bleiben?
    Ja, legen wir uns schlafen, stammelte er.
    Sie unterdrückte eine Gebärde aufwallenden Zornes. Ihre Geduld war zu Ende. War er blöd geworden?
    Geh', geh', wiederholte sie.
    Nein.
    Nun brach der Sturm los.
    Das ist doch ekelhaft, rief sie. Ich bin deiner völlig satt; kehre zu deiner Frau zurück, die dir Hörner aufsetzt ... Ja, sie setzt dir Hörner auf, das sage ich dir jetzt ... Nun hast du deinen Teil und wirst mich endlich in Ruhe lassen.
    Muffats Augen füllten sich mit Tränen. Er faltete die Hände und stammelte:
    Gehen wir schlafen.
    Nana verlor den Kopf, auch sie war von seinem nervösen Schluchzen erschüttert. Man trieb Mißbrauch mit ihr. Was gingen

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