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Nanking Road

Nanking Road

Titel: Nanking Road Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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wurde, weiter oben bot ein Laden nach dem anderen Handtaschen und Pelze an. Es ging vorbei an Räucherstäbchenläden und Geschäften mit allem möglichen Zubehör, das man zur Ehrung der Götter und Ahnen einsetzen konnte, und in der nächsten engen Gasse musste man unter wehenden Stoffbahnen praktisch hindurchkriechen. Ich lieferte mein Päckchen aus und wurde bezahlt, worauf ich am Heißwasserstand meinen Becher füllen lassen konnte. Auch einen Lauchpfannkuchen durfte ich mir als Arbeitslohn unterwegs gönnen. Es war üblich, sein eigenes Essgeschirr mitzuführen. Meins baumelte an einer Kordel von meinem Ranzen, und manchmal hatte ich das Gefühl, dass ich Papa ausgerechnet den angenehmsten Teil seiner Arbeit abnahm.
    Doch nicht nur die Straßen Hongkous, auch die Behausungen anderer Flüchtlinge waren sehenswert. Einzelne kleine, dunkle Zimmer wie das der Erdmanns waren am häufigsten anzutreffen, sehr selten gab es Wohnungen wie die der Wangenheims in der North Szechuan Road. Im Norden des Stadtteils, wo sich auch Mamus Arbeitsplatz befand, lebten besonders viele Japaner und meine Abneigung gegen die Besatzer war so groß, dass ich mich kaum dazu bringen konnte, Wangenheims freundlichen Vermieter zu grüßen, der vor seinem Haus auf einem Stuhl saß. Wangenheims taten mir leid, weil sie bei Japanern wohnen mussten; in meinen Augen machte ihre schöne Wohnung diesen Makel kaum wett.
    Ihre sehr schöne Wohnung. Sie hatten sogar fließendes Wasser! Ich fasste mir ein Herz. »Frau Wangenheim, darf ich wohl bitte Ihre Toilette benutzen?«
    Frau Wangenheim zögerte einen langen Augenblick und ich fühlte, wie mir noch wärmer wurde als ohnehin schon und ich innerlich meiner Mutter die bittersten Vorwürfe zu machen begann. Mamu hatte sich im Krankenhaus mit der Angst vor Infektionskrankheiten angesteckt, »Malariacholeraruhrtyphuslepra«, und ihre Besessenheit mit dem Thema Hygiene führte dazu, dass ich das Haus nicht verlassen durfte, ohne mich zuvor mit einer klebrigen Salbe einzureiben. Deren einzig spürbare Wirkung allerdings war, dass mich auf Schritt und Tritt ein Brechreiz erregender Gestank begleitete, der auf der Straße nicht weiter auffiel, sich in Wangenheims sauberer Wohnung allerdings noch zu verstärken schien.
    »Nötig ist es aber nicht«, trat ich hastig den Rückzug an.
    »Ach, lass mal«, sagte Frau Wangenheim wohl mehr zu sich selbst als zu mir und wies mit der Hand auf die Tür zum Bad.
    Zu meiner Überraschung kam sie mit hinein. »Das ist die Toilette«, sagte sie und klappte den Deckel auf, als ob ich so etwas noch nie gesehen hätte. »Und hier ist das Waschbecken.«
    Sie drehte den Hahn, um zu demonstrieren, wie man das Wasser in Marsch setzte. Als sie einen Schrank öffnete, quollen mir die Augen aus dem Kopf. Der Schrank war voll sauberer Handtücher!
    Frau Wangenheim nahm eins heraus und legte es neben das Waschbecken. »Vielleicht«, sagte sie, sich langsam für meinen Wunsch erwärmend, »möchtest du dich ja auch waschen.«
    Beinahe erwartete ich, dass sie sagte: Das hier nennt man Seife.
    »Darf ich …?«, fragte ich beschämt, aber eifrig.
    »Aber bitte«, lud Frau Wangenheim mich ein. »Ich mache uns in der Zwischenzeit ein Kännchen Tee!«
    Sie zwinkerte mir zu, als hätten wir uns verschworen, und ließ mich allein. Ich stellte meine Schultasche neben die Badewanne und drehte mich einmal um mich selbst, um den Raum in Augenschein zu nehmen. Die sauberen Armaturen, die kaum gesprungenen Kacheln. Vor der Wanne lag sogar ein kleiner Teppich.
    Ich atmete tief ein. Ein kleiner Juchzer entschlüpfte mir. Ich hatte den besten Job in ganz Shanghai, so viel stand fest! Rasch ließ ich die Hose herunter und nahm auf dem glatten, angenehm kühlen Toilettensitz Platz, wo ich zum Glück nur kurz befürchten musste, meine Blase spielte vor lauter Aufregung nicht mit.
    Ich verlor keine Zeit, obwohl ich gern länger in diesem außergewöhnlichen Raum verweilt hätte, stellte mich auf das Handtuch und schrubbte mich mit kaltem Wasser und Seife. Ein köstlicher Duft nach Zitrone blieb auf meiner Haut, nachdem ich mich mit dem nunmehr nassen Handtuch notdürftig abgetrocknet hatte. Unsere chinesische Seife zu Hause krümelte, anstatt zu schäumen, hinterließ Juckreiz und roch nach Schweißfüßen.
    Es tat mir leid, wieder in die verschwitzte Straßenkluft zu steigen, an der noch der verhasste Gestank des Insektenschutzmittels hing. Rasch wischte ich noch ein paar Streifen Seife auf meine

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