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Nanking Road

Nanking Road

Titel: Nanking Road Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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Wachdienst.
    Offiziell sprach man nie vom Ghetto Hongkou oder nahm auch nur das Wort Jude in den Mund, offiziell sprach man von der Designated Area für all diejenigen Staatenlosen, die seit 1937 ins Land gekommen waren. Die deutschen und österreichischen Juden wurden dadurch von den russischen und polnischen getrennt, die schon länger im Land waren.
    Vermutlich hatten die Japaner damit gerechnet, dass viele der Chinesen Hongkous die Gelegenheit ergreifen würden, um im früheren internationalen Sektor eine der nun frei werdenden besseren Wohnungen zu beziehen, aber die meisten unserer einheimischen Nachbarn blieben, wollten ihr Zuhause nicht aufgeben. So wurde es zwar noch enger für uns alle, aber dass Hongkou kein rein jüdisches Ghetto werden würde, konnte immerhin einen gewissen Schutz bedeuten.
    Im Winter hatte der Fü einen seiner berüchtigten Judenjäger nach Shanghai geschickt, einen SS -Führer namens Meisinger, dem der mysteriöse Ruf als »Schlächter von Warschau« vorausging. Gerüchte machten die Runde: Schiffe sollten uns aufs Meer fahren, um uns zu ertränken; auf der Halbinsel Pudong solle ein Konzentrationslager errichtet werden.
    Wenn das Ergebnis der Unterredungen zwischen dem Deutschen und dem japanischen Stadtkommandanten das Ghetto Hongkou war, war es gewiss das kleinste Übel – aber wer wusste das mit Sicherheit?
    Trotz unserer besorgniserregenden Lage musste ich beinahe lachen, als Onkel Victor schon am Tag nach der Bekanntmachung bei uns auftauchte. Ich hatte mit Papa gewettet, dass er keinen Augenblick Zeit verlieren würde.
    Onkel Victor nahm mich in den Arm, zerquetschte mich beinahe und rief: »Habt ihr’s schon gehört? Nun werden wir also doch wieder Nachbarn!«
    Er trieb mich vor sich her in die Wohnung, wo Papa von seiner Nähmaschine aufstand.
    »Na, was meinst du, Franz?«, fragte er erwartungsvoll. »Wo finden wir hier die beste Wohnung? Es muss Platz für eine Zahnarztpraxis geben.«
    »Im Norden«, sagte ich wie aus der Pistole geschossen. »Bestimmt ziehen jetzt viele Japaner ins Settlement!«
    »Ziska kennt sich viel besser aus als ich«, gestand Papa. »Sie kommt überall herum.«
    Onkel Victor zog eine Karte von Hongkou aus der Tasche, auf der zu unserer Überraschung das Ghetto bereits eingezeichnet war. Geschäftstüchtige Chinesen hatten die Karten buchstäblich über Nacht produziert und standen seit dem Morgen damit an jeder Straßenecke.
    Leider stellten wir fest, dass der Norden von Hongkou nicht Teil des Ghettos sein würde. Die Designated Area umfasste nur etwa einen Quadratkilometer, zu dem nicht einmal mehr die Uferstraßen gehörten. Den Huangpu würden wir in Zukunft nur noch aus der Ferne sehen.
    »Aber dann müssen Wangenheims ja auch umziehen!«, erschrak ich.
    »Nein, zum Glück nicht, denn sie waren schon vor 1937 hier«, wusste Papa und ich war froh für das Ehepaar, das Onkel Erik so großzügig unterstützt hatte.
    »Wo gibt es hier noch Japaner?«, wollte Onkel Victor wissen.
    Ich wusste von mehreren Häusern, musste ihm allerdings schonend beibringen, dass auch die meisten japanischen Wohnungen keineswegs dem Standard entsprachen, den er vom französischen Sektor gewohnt war.
    »Ich glaube nicht, dass wir hier überhaupt eine Wohnung finden, die groß genug ist für eine Praxis.«
    Onkel Victors Gesicht nahm einen ungläubigen, fast störrischen Ausdruck an.
    »Es gibt vielleicht die Möglichkeit, in eine bestehende Gemeinschaftspraxis einzusteigen, zumal du wertvolle Geräte mitbringst«, schlug ich rasch vor.
    »Das ist hier durchaus üblich«, fiel Papa ein. »Mehrere Ärzte teilen sich ein einziges Behandlungszimmer und jeder hat seine eigenen Sprechzeiten. Schau dich mal um, die Häuser sind leicht zu erkennen. Neben der Tür hängen ein halbes Dutzend Praxisschilder übereinander.«
    Onkel Victors Mundwinkel zogen sich nach unten. In diesem Augenblick klopfte es an der Tür. »Das wird Mischa sein, er wollte nachkommen«, grummelte Onkel Victor.
    Ohne lange nachzudenken, sprang ich auf, lief die paar Schritte zur Tür und riss sie beim Öffnen beinahe aus den Angeln. Mein Freund Mischa! Es war Jahre her!
    Er prallte zurück. »Hallo, Ziska«, sagte er verlegen.
    Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte, aber Mischas Reaktion erstickte jeden Ansatz meiner begeisterten Begrüßung; ich war beschämt und beleidigt, als hätte ich mich ihm ungewollt an den Hals geworfen.
    »Ich hab’s dir ja gesagt«, meldete sich Onkel Victor aus dem

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