Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nanking Road

Nanking Road

Titel: Nanking Road Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
Vom Netzwerk:
uns im Gang Platz machten, nichts Besonderes mehr zu sein. Die ängstlichen Gesichter meiner Eltern konnten alles verderben!
    Doch die Sorge hätte ich mir sparen können. Das Bordpersonal wusste, wer wir waren, und hatte Vorkehrungen getroffen. Deutsche und Juden blieben für sich, wie gewohnt, man hatte uns klugerweise an getrennten Tischen platziert. Dort bedienten uns die Stewards jedoch nicht weniger freundlich als alle anderen und als wir nach einigen angespannten Minuten erkannten, dass uns auch von den Nachbartischen keinerlei Blicke trafen, atmeten meine Eltern auf.
    »Waffenstillstand«, raunte Mamu. »Neutraler Boden.«
    Die Plätze am Tisch waren namentlich zugeteilt und gespannt wartete ich, in wessen Gesellschaft wir die Reise verbringen würden. Gleich nach dem Ablegen war eine Bordzeitung unter unserer Kabinentür hindurchgeschoben worden, der man die Namen der Mitreisenden entnehmen konnte, und es waren, stellte Papa fest, »große Namen« darunter, nicht nur in der ersten Klasse.
    Die Namen waren mir egal; ich hoffte, dass sich jemand in meinem Alter zu uns setzte. Verstohlen schielte ich zu den anderen Tischen hinüber. Die wenigen Kinder, die mitfuhren, waren leider deutlich jünger als ich, nur schräg gegenüber, auf der anderen Seite des Raums saß ein Mädchen mit blonden Zöpfen, das zu mir gepasst hätte. Sein herausfordernder Gesichtsausdruck erinnerte mich sogar ein wenig an Bekka. Für den Bruchteil einer Sekunde begegneten sich unsere Blicke, dann schaute sie weg, als hätte sie mich nicht gesehen.
    Eine heiße Welle der Kränkung und Blamage durchlief mich. Deutscher Tisch! Papa konnte seinen Hut noch so tief in die Stirn drücken – dass sein Haar geschoren war, war nicht zu übersehen, und noch bevor der erste Gang serviert worden war, verabscheute ich das Mädchen mit den blonden Zöpfen ebenso sehr wie sie mich.
    Das immerhin war neu und ein wenig überraschend; in Deutschland hätte ich ihr nicht einmal einen Vorwurf gemacht. Auf der Scharnhorst jedoch reichten nur wenige Stunden, um zu spüren, dass sich etwas verändert hatte, ein Gefühl, das trotz des Dämpfers im Speisesaal nicht mehr bereit war, restlos zu verfliegen. Über die Distanz des Raumes hinweg spürte ich zum ersten Mal, dass auch ich auf die Deutschen herabsehen und ihre Hässlichkeit und Gewöhnlichkeit erkennen konnte, wie etwas, das im Dunkeln nicht sichtbar gewesen war.
    Das junge Ehepaar, das sich zu uns an den Tisch setzte, kam aus England. Mr und Mrs Tatler waren Lehrer auf dem Weg zu einer Arbeitsstelle an der britischen Schule in Shanghai, und der Einzige, der sich mit ihnen verständigen konnte, war Papa. So saßen abwechselnd die Tatlers oder Mamu und ich angestrengt und fragend lächelnd dabei, aber immerhin musste Papa auf diese Weise die ganze Zeit reden und war vom Grübeln abgelenkt.
    Auf das Essen war ich gespannt. Die Menükarte hatte seit dem Mittag an der Tür des Speisesaals gehangen, sodass man sich einige Stunden hatte vorfreuen können. Schon bei der Vorspeise merkte ich allerdings, dass an den Tischen in unserer Nähe auffallend viele Leute den Löffel gar nicht erst in die Hand nahmen.
    »Was haben sie denn?«, flüsterte ich Papa alarmiert zu und versuchte zu erkennen, was in meiner Suppe schwamm.
    »Nicht koscher«, flüsterte Papa.
    »Nicht was ?«
    »Später, Ziska«, sagte Mamu warnend.
    Mrs Tatler lächelte. »Children!«, sagte sie verständnisvoll. »They always hate soup!«
    Ich fühlte, wie mir die Wärme bis in die Ohrläppchen schoss, und nahm einen großen Schluck Suppe, doch an vielen Tischen waren Passagiere bereits aufmerksam geworden und schauten spöttisch zu den Nichtessern hinüber.
    Mamu irrte, wenn sie glaubte, dass ich nicht wusste, was koscher bedeutete. Ich mochte nicht gleich daran gedacht haben, schließlich lag meine Begegnung mit der Familie von Ruben Seydensticker schon einige Monate zurück, aber ich wusste genau, worauf es hinauslief: Das Essen an Bord entsprach nicht den jüdischen Speisevorschriften.
    Was hatten die Leute erwartet – dass auf einem deutschen Ozeandampfer ihretwegen nach irgendwelchen Riten gekocht wurde?
    Ich schämte mich für sie. Mein kurzer Anfall von Überheblichkeit war dahin; ich aß mit großen Gesten und lobte die Suppe wie verrückt, damit die nichtjüdischen Tische besänftigt waren. Ein starkes Gefühl überkam mich, dass wir nicht hierher gehörten, dass das alles ein riesengroßer Irrtum war. Egal, was die Nazis behaupteten

Weitere Kostenlose Bücher