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Nanking Road

Nanking Road

Titel: Nanking Road Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne C. Voorhoeve
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Zusammenbruchs, wir können den Flüchtlingsstrom einfach nicht mehr bewältigen. Eigentlich ist diese Stadt schon lange voll.«
    »Das haben wir gesehen«, erwiderte Mamu, ihrerseits um Freundlichkeit bemüht. »Und seien Sie versichert, wir werden alles tun, um nicht von Almosen abhängig zu sein.«
    Worauf Herr Brod erklärte, dass das Joint Distribution Committee , eine jüdische Hilfsorganisation in den USA , allen Emigranten eine Summe von 75 US -Dollar als Startgeld gewährte – eine Mitteilung, die das Gesicht meiner Mutter so schlagartig erhellte, als wären sämtliche Lichter des Hauses auf sie gerichtet worden. Herr Brod bremste ihre Begeisterung ein wenig, indem er einräumte, das Geld sei im internationalen Sektor schnell ausgegeben. Die meisten mittellosen Einwanderer zögen es vor, preiswerte Zimmer und Lebensmittel direkt in Hongkou zu beziehen.
    »Hong was?«, vergewisserte sich Mamu.
    »Hongkou. Das ist dieser Stadtteil, Frau Mangold, in dem Sie untergekommen sind«, erwiderte Herr Brod schon wieder ein wenig gereizt. »Er ist von Japan bombardiert worden, wie Sie bestimmt bemerkt haben. In Hongkou müssen zahlreiche zerstörte Häuser erst wieder bewohnbar gemacht werden. Einwanderer haben, wenn Sie so wollen, die Chance, sich ihre künftige Bleibe mit eigener Hände Arbeit zu errichten.«
    Papa, dessen Kopf während der letzten Minuten wie abgeknickt vornüber gehangen hatte, zuckte hoch. »Ich war in Sachsenhausen bei der Errichtung von Baracken eingesetzt!«
    »Na also!« Zum ersten Mal, seit wir sein Büro betreten hatten, wirkte Herr Brod erfreut, fast erleichtert. »Da haben wir doch was! Ich gebe Ihnen eine Adresse, bei der Sie sich melden können. Sie werden sehen, in ein paar Wochen sind Sie raus aus dem Ward Road-Heim und haben eine eigene Adresse. Und was die Kleine betrifft …«
    Plötzlich richteten sich alle Augen auf mich und ich setzte mich vorsichtshalber etwas aufrechter hin. »Kann sie schon Englisch?«, fragte Herr Brod.
    »Nein«, erwiderte ich rasch, bevor Mamu den Mund aufmachte. Ich konnte es noch nie leiden, wenn in meinem Beisein über mich geredet wurde, als wäre ich das Haustier – auf Deutsch konnte Herr Brod mich schließlich ansprechen, oder etwa nicht?
    »Englisch ist bei uns die Unterrichtssprache«, fuhr er fort, unbeirrt an Mamu gewandt, die er zu Recht als unsere Chefin erkannt hatte. »Sie wird es also lernen müssen, bevor sie am Schulunterricht teilnehmen kann, und das geht am besten im Kindergarten.«
    »Ziska wird elf«, protestierte Mamu. »Sie können sie doch nicht in den Kindergarten stecken!«
    »Wenn sie sich anstrengt«, erwiderte Herr Brod ungerührt, »ist sie schnell wieder draußen.«
    Als Flüchtlinge waren wir gekommen, als Bauarbeiter, Schneiderin und Kindergartenkind verließen wir eine halbe Stunde später das Gebäude, wundersam bereichert um einen Scheck über 75 amerikanische Dollar, den Herr Brod uns mit der eindringlichen Warnung überreicht hatte, auf Taschendiebe zu achten. Taschendieb sei in Shanghai ein regulärer Beruf, erklärte er, Taschendiebe hätten sogar ihre eigene Gewerkschaft. Deshalb konnten wir, falls ein Taschendieb doch einmal zugriff, unsere Brieftaschen bei eben jener Gewerkschaft wieder abholen. Mit unseren vollständigen Papieren, hob Herr Brod hervor, aber selbstverständlich ohne die Dollars, die er uns empfahl, im nächsten Bankhaus gegen chinesisches Geld zu tauschen. Der Kurswert sei ausgezeichnet!
    Meine Eltern und ich schritten wesentlich munterer über die Garden Bridge, als wir vor einer Stunde im Ward Road-Heim gestartet waren.
    Der japanische Posten beachtete uns nicht. Papa suchte seinen Blick, als wir über die Brücke auf ihn zugingen, und versuchte in der undurchdringlichen Miene des flachen, blassen Gesichtes eine Aufforderung zum Stehenbleiben oder Weitergehen zu erkennen, aber da war nichts, nicht einmal eine Handbewegung, die uns gegolten haben könnte. Der Japaner blockierte nicht unseretwegen die Brücke. Während wir wieder Geld mit uns trugen und die Aussicht auf eine Wohnung und etwas zu tun, waren es in dieser Stadt die Chinesen, die bettelten, buckelten und herumgeschubst wurden.
    Die Leute taten mir leid. Sie näherten sich dem Posten ängstlich und demütig, beugten sich tief zur Straße hinunter und entblößten ihre dürren, schmutzigen Nacken, als wollten sie den Japaner einladen, ihnen mit seinem Bajonett den Kopf abzuschlagen. Der Anblick schnürte mir die Kehle zu. Zum zweiten

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