Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Narben

Narben

Titel: Narben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
Vom Netzwerk:
Wegweiser Richtung Osten.
    Ich fuhr langsam weiter, an mehreren Schotterwegen vorbei, die östlich in die Hügel führten, alle ohne Wegweiser. Dann sah ich ein Holzschild, fast verdeckt hinter rot blühenden Büschen: SNK M.
    Die Privatstraße war eine steile, von Farnen und Wacholderbüschen gesäumte Holperpiste, die mich über Serpentinen, zwischen riesigen, dickstämmigen Bäumen unter undurchdringlichen Kronen tiefer in die Einsamkeit führte. An manchen Stellen reichten die Äste bis in die Wegmitte und schrammten an meinem Bodenblech.
    Nach etwa einem halben Kilometer hörte ich ein Plätschern. Grundwasser. Deshalb die üppige Vegetation sogar in der Dürrezeit.
    Nach ein paar weiteren Kurven sah ich ein zweiflügliges Tor vor mir: dicker Maschendraht in Rahmen aus verwitterten Rotholzplanken.
    Das Tor war zu, aber nicht verriegelt. Ich stieg aus und schwang die Flügel zur Seite. Sie waren schwer und rostig und hinterließen rotbraune Flecken auf meinen Händen.
    Höchstens hundert Meter weiter, hinter einem zweiten Tor von der gleichen Bauart, vor einem Hintergrund aus Kieferngehölz und flankiert von himmelhohen Fichten, war dann das Haus zu sehen, ein großes, hüttenartiges Gebäude mit Teerdach und Holzwänden.
    Ich parkte zwischen einem schwarzen Jeep Cherokee und einem alten weißen Mercedes-Kabriolett. Eine breite Treppe führte auf einen Rundum-Balkon, wo im Schatten des Dachvorsprungs eine Reihe von Korbstühlen mit blauen Blumenkissen vor sich hin schimmelten. Die Fenster der Hütte waren grau vor Dreck.
    Ich klopfte an die Tür, und für eine Weile regte sich nichts, bis eine Frau aufmachte.
    Sie war vielleicht fünfunddreißig und hatte schulterlanges schwarzes Haar, glatt gekämmt mit kupferroten Strähnen. Ihr Gesicht war ein sonnengebräuntes Oval mit energischem Kinn und gelbbraunen Augen. Sie trug ein übergroßes leuchtendgrünes T-Shirt und schwarze Leggings.
    »Dr. Delaware?« fragte sie mit gelangweilter Stimme. »Ich heiße Nova.«
    Sie winkte mich in eine gigantische Wohnhalle mit Möbeln, die aussahen, als kämen sie vom Flohmarkt: mehrere durchgesessene Tweedsofas und eine Menge abgewetzter Tische und Stühle. Trotzdem war noch genug Platz zum Tanzen. Der wellige Fußboden war mit verblichenen, fadenscheinigen Teppichstücken bedeckt. Die Decke bestand aus rohen Holzbalken und Planken. Die Wände waren rosa Stuck mit je zwei großen Fenstern zur Front und nach hinten. Rechts war eine primitive, schmale Treppe. Vor der Rückwand gab es eine lange Theke, die einmal ein Empfangsschalter gewesen sein mochte und jetzt voller Flaschen stand. Dahinter zwei Türen.
    An den Wänden hingen Dutzende von Tierköpfen: Hirsche, Rehe, Elche, Füchse, Bären und ein einsamer Puma, in Augenhöhe eine Reihe einbalsamierter Forellen mit auf Messingplättchen gravierten Angaben über Länge und Gewicht. Alles sah schäbig und vergammelt aus - grotesk.
    »Geht Mr. Lowell auf die Jagd?«
    »Nein«, kicherte Nova, »jedenfalls nicht mit dem Gewehr. Das ganze Zeug war schon da, als er einzog, und er hat es einfach so gelassen. Warten Sie hier. Ich sage ihm, daß Sie da sind. Wenn Sie wollen, nehmen Sie sich was zu trinken.«
    Sie verschwand durch die Tür links hinter der Theke, und ich ging an die Bar. Die meisten Flaschen waren leer. Es gab acht oder neun billige Gläser, die seit Ewigkeiten kein Spülwasser mehr gesehen hatten. Der Kühlschrank war mit verschiedenen Sprudeln gefüllt. Ich wusch ein Glas aus, goß mir ein Tonic ein und ging zurück in die Mitte des Raums. Als ich mich auf einen Sessel vor einen der leeren Kaffeetische setzte, erhob sich eine Staubwolke. Ich nippte an meiner Limo und wartete etwa zehn Minuten. Dann öffnete sich die Tür.

28
    Sein Kopf erschien einen Meter tiefer als erwartet. Er saß in einem altmodischen Rollstuhl, der quietschte und den Teppich verschob, als Nova ihn in meine Richtung manövrierte.
    Das berühmte Gesicht erkannte ich sofort: den länglichen Kopf, das eckige Kinn, die knorrige Nase, die eingesunkenen, dunklen Augen unter buschigen weißen Augenbrauen und das graumelierte, schulterlange Haar, das von einem bestickten Stirnband zusammengehalten wurde.
    Doch von seinem Körper war fast nichts mehr übrig, besonders unter der Gürtellinie nur noch spindeldürres, lebloses Gebein, eingepackt in eine dunkle Hose. Seine Füße steckten in karierten Hausschuhen. Die riesigen kreideweißen Hände lagen verkrampft in seinem Schoß.
    Nova parkte ihn vor mir und

Weitere Kostenlose Bücher