Narben
Tagen mit Ihnen telefonierte, erkannte ich an Ihrer Stimme, daß Sie eine Spur haben müssen. Wäre Ihr Patient jetzt bereit, sich mit mir zu treffen?«
»Mein Patient ist in Trauer. Ein Todesfall in der Familie.«
»Nein!« Er legte die Hände aufs Lenkrad und senkte den Kopf. »Das tut mir leid. Standen sie sich nahe, Ihr Patient und der Verstorbene? Können Sie mir wenigstens sagen, ob Ihr Patient männlich ist oder weiblich, damit ich entsprechend für ihn beten kann?«
»Es ist eine Frau.«
»Das habe ich mir gedacht. Weibliches Mitgefühl… das arme Kind. Ich hoffe, sie wird ihre Trauer überwinden.«
»Das hoffe ich auch.«
»Sie können sie natürlich nicht drängen. Das kann man nicht in einem solchen Fall.«
Er nahm meine Hand. »Wenn sie soweit ist, wann immer das sein wird, bitte rufen Sie mich an. Vielleicht kann ich helfen. Vielleicht können wir uns gegenseitig helfen.«
Ich nickte und stieg aus. Durch das Beifahrerfenster sagte er:
»Sie sind ein guter Mensch, Doktor. Verzeihen Sie mir, wenn ich an Ihren Motiven gezweifelt habe.«
»Ich habe Ihnen nichts zu verzeihen.«
»Sind Sie religiös, Doktor?«
»Auf meine Weise, ja. Ich glaube nicht, daß alles zufällig ist, was auf der Welt passiert.«
»Das ist eine wichtige Einsicht. Ich versuche jeden Tag, meinen Glauben zu erneuern, aber an manchen Tagen ist es einfacher als an anderen.«
37
»Es ist alles so unwirklich«, sagte Lucy.
Es war neun Uhr früh. Ich hatte es endlich geschafft, sie in Brentwood zu erreichen.
»Wie meinen Sie das?«
»Im Traum rede ich mit Peter, dann wache ich auf und erinnere mich daran, daß er tot ist. Ich schlafe die ganze Zeit und kann nicht klar denken. Jedesmal, wenn ich aufzustehen versuche, will ich sofort wieder ins Bett zurückkriechen. Mein Gott, ich vermisse ihn so.«
Sie weinte.
»Ich bin nicht wütend auf ihn, er konnte doch nichts dafür. Das Zeug war zu stark, und er wußte es nicht. Wenn er Drogen brauchte, konnte er an nichts anderes mehr denken. - Ich kann im Moment nicht mit unseren Sitzungen weiterfahren. Ich kann mich auf nichts konzentrieren. Es tut mir leid.«
»Das macht nichts, Lucy.«
»Es tut mir leid.«
Ich versuchte zu rekapitulieren, was ich bisher herausgefunden hatte: drei Psychopathen in einem Wald - Barnard kommt ihnen auf die Spur und muß sterben. Die Sheas leben noch und sind wohlhabend. Auch Doris Reingold überlebt, doch offenbar mittellos, vielleicht weil sie ihr Schweigegeld verspielt hat. Tom Shea bringt sie in Nacht und Nebel weg - in ein Versteck oder zur Exekution?
Ich blieb immer wieder bei Barnard stecken. Und wenn er nicht der einzige Erpresser war? Eine Leiche mit heruntergezogener Hose auf einem Motelbett - sollte das als Abschreckung dienen?
Doch wer hat geschossen? Es war ein Jahr nach Karens Verschwinden geschehen. Mellors - oder wie auch immer sein richtiger Name war - arbeitete inzwischen für Ape. Trafficant war verschwunden. Morris Lowell lebte zurückgezogen im Topanga Canyon - daß der berühmte Mann eine Konfrontation in einem schmierigen Hotel riskiert hätte, konnte ich mir nicht vorstellen.
Und warum war es ausgerechnet in dieser Absteige geschehen? Weil man dort Nutten arbeiten ließ? Oder hatte man Barnard mit dem Versprechen dorthin gelockt, er würde endlich die größere Zahlung erhalten, die er verlangt hatte? Hatte er vorgehabt, sich für eine halbe Stunde mit einer Nutte zu vergnügen, während er auf den Mörder wartete?
Ich stellte ihn mir vor, wie er in freudiger Erwartung auf einem schmalen grauen Bett lag, die Hose offen, der Schnaps auf dem Nachttisch. Eine Frau in Minirock und Stöckelschuhen verschwindet lächelnd im Badezimmer. Die Toilettenspülung geht, der Wasserhahn läuft, Barnard merkt nicht, wie sich die Tür öffnet.
Jemand schleicht sich ans Bett heran und pumpt Barnard mit Kugeln voll.
Jemand mit einem Schlüssel.
War der Portier bestochen worden? Hatte die Nutte Bescheid gewußt?
Aber warum gerade dieses Motel, wo es in Hollywood Dutzende solcher Absteigen gab?
Vielleicht weil der Mörder es so gut kannte, daß er dort Helfer anheuern konnte.
Milo sagte, es hätte dort ständig Ärger gegeben. Ein Verbrechen mehr, selbst wenn es ein Mord war, hatte die Polizei nicht besonders überrascht.
Barnard hatte ein armseliges Leben geführt. Er hatte im Leben anderer Leute herumgeschnüffelt und Geld genommen für Ermittlungen, die keine Aussicht auf Erfolg hatten.
Zwanzig Jahre später war er selbst solch
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