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Narrenspiel: Peter Nachtigalls dritter Fall (German Edition)

Narrenspiel: Peter Nachtigalls dritter Fall (German Edition)

Titel: Narrenspiel: Peter Nachtigalls dritter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Steinhauer
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Stiche hielten die klaffenden Wundränder zusammen. Das würde ihm zwar ein heldenhaftes Aussehen verleihen, aber schöner würde er durch die zu erwartende Narbe nicht gerade werden, dachte er missmutig.
    Der fremde, junge Mann fiel ihm sofort auf, als er den Versammlungsraum betrat, und Panik wallte in ihm auf. Es kostete ihn Mühe, ruhig zu seinem Platz zu gehen und nicht auf dem Absatz kehrtzumachen und davonzulaufen. Vielleicht hatte sein Vater recht gehabt, vielleicht war er ja wirklich ein Feigling. Seine Schritte waren etwas steif, doch die anwesenden Mind Watchers glaubten sicher, das käme noch von der Verletzung am Kopf. Andere aus der Gruppe hatten auch noch Probleme mit den Nachwehen der Demonstration vom Montag.
    Der junge Mann war offensichtlich als Besucher gekommen. Er trug Jeans und ein schwarzes T-Shirt. Darüber, trotz der Wärme, eine von diesen Jacken, die die jungen Leute immer so aufgeblasen aussehen ließen. Paul rekapitulierte im Kopf die Liste der Tagesthemen, konnte sich aber beim besten Willen nicht an einen Tagesordnungspunkt erinnern, bei dem ein Besucher vorgesehen war. Na egal, dachte er, ein Neuzugang vielleicht. Das würde sich bestimmt schnell klären und hier würde doch sicher niemand wagen sich in mörderischer Absicht auf ihn zu stürzen – hoffte er jedenfalls.
    Als sich nach der allgemeinen Begrüßung alle gesetzt hatten, ergriff Lotta das Wort.
    »Wir haben uns heute einen Besucher mitgebracht. Er heißt Holger und arbeitet bei PRO mit. Sie haben unsere Demo am Montag verfolgt und es hat ihnen gut gefallen, was wir da abgezogen haben. Einige der Mitglieder von PRO haben sich bei ihrer letzten Hauptversammlung dafür ausgesprochen zu sondieren, ob es nicht genügend Berührungspunkte zwischen unseren Gruppierungen gibt, um gemeinsame Aktionen ins Auge fassen zu können. PRO hat allein in Cottbus 150 Mitglieder.«
    Paul betrachtete den Gast kritisch. Niemand wusste besser als er, dass es in Cottbus keine Organisation mit einer ähnlichen Ausrichtung wie die der Mind Watchers gab. Das hatte er natürlich gründlich überprüft, bevor er seine Bewegung ins Leben rief.
    »Gut«, sagte er zörgernd, »ich denke, wir werten erst einmal die Demo vom Montag aus. Jetzt haben wir alle ein bisschen Abstand dazu. Danach hören wir uns deinen Gast an. Vielleicht kann er die Ziele seiner Gruppierung kurz darstellen«
    Holger nickte zustimmend.
    Während nun einer nach dem anderen seine Einschätzung der Vorkommnisse in der Spremberger Straße darstellte, kritisch bewertete oder begeistert kommentierte, erlaubte Paul seinen Gedanken, ein wenig abzuschweifen. Ihn beschäftigte, neben all den anderen beängstigenden Dingen in seinem Leben, die Frage, was eigentlich in seinen kleinen Bruder gefahren war. Er hatte den Kontakt zu Markus mehr oder weniger abreißen lassen, weil er mit den Mind Watchers und seinem eigenen Leben zurzeit ausreichend beschäftigt war, doch irgendetwas hatte seinen Bruder total verändert. Bei Vaters Beerdigung, nahm Paul sich vor, würden sie mal wieder ein richtiges Gespräch miteinander führen – irgendwie schien das Leben seines Bruders aus dem Ruder gelaufen zu sein.
    Ein leises Schuldgefühl breitete sich in seiner Brust aus. Wenn er nicht ausgezogen wäre ...
    Nein, schalt er sich, er konnte doch nicht ewig bei diesem Tyrannen bleiben, nur, weil sein Bruder es nicht schaffte auszuziehen! Im selben Moment erkannte er, wie sehr er sich damit in die eigene Tasche log. Markus hatte schon wegen ihrer Mutter nicht gehen können – er hatte seine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben bisher gar nicht bekommen. Und nun war auch noch Rattengift im Körper seines Vaters gefunden worden. Aber seine Mutter konnte doch unmöglich – selbst wenn sie von seinen Seitensprüngen gewusst haben sollte – nein, sie hätte doch niemals ihren Mann vergiftet! Aber wer dann?, grübelte er weiter, wer hätte denn Gelegenheit dazu gehabt? Nur die Familie, gestand er sich widerstrebend ein, einer von ihnen vier hatte versucht, Hans-Jürgen Mehring mit Rattengift zu töten. Ihn schauderte. Ich war es nicht, dachte er, bleiben noch drei.
    Als er den Blick wieder hob, stellte Paul Mehring fest, dass die Blicke seiner Gruppe erwartungsvoll auf ihn gerichtet waren. Er räusperte sich und fasste seine Analyse kurz zusammen.
    »Zum einen, denke ich, hatten wir durch die Aktion ziemlich viel Medienpräsenz, was uns sicher helfen wird, bekannt zu werden. Die Plakate waren prima zu lesen,

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