Narrentreiben: Ein Fall für Hubertus Hummel (Hubertus Hummel-Reihe) (German Edition)
hän trenne müsse. Aber so isch’s halt, wenn mer kone Kinder hät. Sonscht wär des nit passiert. Die beide hän sich zuletscht nur no ein-, zweimol im Jahr g’sehe.«
Sie führte den Finger ganz behutsam auf Bauchhöhe in eine Richtung, sodass die Umstehenden ihre Bewegung nicht sehen konnten.
»Die etwas festere Frau mit dem Hut und dem Trauerschleier?«, fragte Hummel leise nach.
Gremmelsbacher nickte bedeutungsvoll. Die Frau war etwa sechzig Jahre alt und stand nur ein paar Meter weiter.
Hubertus warf Klaus einen Blick zu. Der verstand sofort: Er nickte und verabschiedete sich mit einem kurzen Händedruck von Frau Gremmelsbacher. Jetzt war er an der Reihe!
»Nochmals herzliches Beileid«, flüsterte er Berta Gremmelsbacher zu und näherte sich langsam der Ex-ehefrau.
Hubertus bemühte sich weiter um die Haushälterin, obwohl sich der Dekan gerade vor dem Grab postierte. Gleich würde er die letzten Worte für den Verstorbenen sprechen.
»Sind denn irgendwelche anderen Verwandten da?«
»Er hät keine Verwandte mehr. Un jetzt lass mich bitte in Ruhe trauere, Hubertus.«
Gerade als Hummel überlegte, ob er der Haushälterin doch noch eine letzte Frage stellen sollte, hörte er ein lautes Klatschen. Und dann ein nicht minder lautes Schimpfen!
»Lassen Sie mich endlich in Ruhe!«, schrie die große Blonde den Hauptkommissar an. Dem war durch ihren gezielten Schlag mit der Handtasche die Brille vom Nasenbein gerutscht und zu Boden gefallen.
Die Frau schluchzte jetzt ungehemmt los. Müller kniete auf dem Boden und tastete nach seiner Brille – zu Füßen des entsetzt blickenden Dekans und nur wenige Meter vom Sarg entfernt. Als der Hauptkommissar seine Brille zu fassen bekommen hatte, schlich er in geduckter Haltung davon.
Der Dekan fand seine Fassung wieder. Er schüttelte sanft den Kopf, machte aber sonst weiter kein Aufhebens um die Sache, sondern sagte nur mit sonorer Stimme: »Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub.«
Dann wurde der Sarg abgelassen.
10. HELAU
Das Gymnasium am Romäusring lag am Rande der Villinger Innenstadt und bestand aus zwei miteinander verbundenen Bauten. Zuerst hatte es nur das klassische, etwas verschnörkelte Gebäude gegeben, das von außen an eine Lehranstalt des frühen 20.Jahrhunderts erinnerte. Da die Zahl der Gymnasiasten irgendwann überhandgenommen hatte, war der sogenannte Neubau hinzugekommen: schnörkellose, zweckmäßige Siebzigerjahre-Architektur aus grauem Beton. Ein gewöhnungsbedürftiger Gegensatz.
Als Hubertus Hummel an diesem Donnerstagmorgen die gläserne Eingangstür zum Neubau betrat, bemerkte er sofort, dass dies kein normaler Schultag war. Schon beim Hausmeisterkiosk hingen Girlanden. Beim Gang zur Treppe fühlte sich Hubertus an eine Geisterbahn erinnert. Nach wenigen Metern hatte ihn bereits die dritte Horrormaske angestarrt.
Hubertus ärgerte sich mehr, als dass er sich fürchtete.
»Das hier ist Fasnacht und nicht Halloween«, raunzte er einen Poltergeist an. Zu seiner Zeit hätte es solche amerikanisierten Feste nicht gegeben. Die Kleineren waren als Cowboys gegangen, aber sonst …
Eine rote, überdimensionale Pappnase, die sogar seine Mundpartie verdeckte, stellte die Verkleidung des Hausmeisters dar. »Narri«, grüßte der Mann mit dem blauen Kittel aus seiner Kabine. »Narro«, erwiderte Hummel etwas tonlos und steuerte das Treppenhaus an.
Seine Stimmung ließ an diesem Morgen zu wünschen übrig. Martina, die noch bis Aschermittwoch bei ihren Eltern einquartiert bleiben wollte, weil ihr Lebensgefährte ohnehin rund um die Uhr unterwegs war, hatte wieder einmal fürchterlich schlecht geschlafen und beinahe stündlich die Toilette aufgesucht. Hummel hatte das um seinen ohnehin recht leichten Schlaf gebracht.
Übermüdet, wie er war, stand ihm der Sinn nicht nach einer Kostümierung. Irgendwie fühlte er sich aber doch verkleidet: Er trug ein graues Sakko, eine schwarze Hose und dazu eine von Elke handbemalte Seidenkrawatte mit dem Motiv der Villinger Münstertürme. Seine Kollegen beneideten ihn um dieses Versöhnungsgeschenk nach ihrer zwischenzeitlichen Trennung.
Ursache für Hubertus Hummels Aufzug war sein Chef, der ihn zu einem »ernsten Gespräch« gebeten hatte, ehe in der zweiten Stunde sein Unterricht beginnen würde. Der Direktor war eigentlich ein konzilianter Vorgesetzter, aber Hummel konnte diese offiziellen Termine nicht leiden. Und die Ankündigung »ernstes Gespräch« verhieß nichts Gutes.
Sollte er
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