Naschkatze
entdeckt, als ich eines Abends, nach einem langen, qualvollen Kampf mit Jills Schottenkaro, durch die Wohnungstür getreten war.
Die Schachtel konnte ich gar nicht übersehen. Weil sie so groß war.
Im Ernst. So groß wie ein Miniaturpony. Oder zumindest wie ein Cockerspaniel. Fast größer als der Baum. Sicher KEIN Schmucketui.
»Vielleicht ist er einer von diesen Jungs«, meinte Tiffany, nachdem ich ihr davon erzählt hatte.
»Von welchen Jungs?«
»Ach, du weißt schon – ihre Freundinnen sollen nicht erraten, was für ein Geschenk sie kriegen. Deshalb packen die Jungs lauter Zeug in große Schachteln. Und wenn die Mädchen diese Schachteln schütteln, hören sie die Etuis nicht klappern.«
Natürlich, das ergibt einen wundervollen Sinn. Luke weiß ganz genau, dass ich keine Geheimnisse hüten kann
(obwohl ich mich seit meiner Ankunft in New York bessere und allmählich zu einer vernünftigen Person heranreife). Und einer Frau, die das nicht kann, traut man auch zu, zwischen Weihnachtsgeschenken herumzuschnüffeln. Okay, es stimmt – rein zufällig habe ich neulich beim Staubsaugen ein bisschen was von der Silberfolie runtergerissen, die diese Schachtel umhüllt. Aber ich habe mich beherrscht und das Geschenk nicht ausgepackt.
Ja, zweifellos hat Tiffany recht – Luke gehört zu den Jungs, die ein kleines Etui zusammen mit vielen anderen Sachen in eine große Schachtel stecken. Das sieht ihm ähnlich.
So was mache ich auch mit der schicken Brieftasche aus braunem Leder, die ich bei Coach für ihn gekauft habe. Ich verstecke die flache kleine Schachtel in einem großen Karton. Den hat mir Mrs. Erickson gegeben. Bisher hat sie ihn benutzt, um die zahlreichen Flaschen mit Geschirrspülmittel zu verwahren, die sie vor zwei Jahren bei einem Trip nach New Jersey im Sam’s Club gekauft hatte. Erst jetzt waren die Flaschen aufgebraucht. Und so hat sie den Karton ausrangiert.
Hoffentlich riecht Luke nicht an seinem Geschenk. Sonst steigt ihm eine Spülmittelwolke in die Nase.
Dann bricht plötzlich der 23. Dezember an, und ich bin so nervös wie ein Kind, das Santa Claus in einem Kaufhaus besuchen wird. Nicht wegen Lukes Geschenk für mich – obwohl mich auch das nervös macht. Oder wegen der Woche, die wir auf verschiedenen Kontinenten verbringen werden. Nein, vor allem belastet mich die große Frage – was wird Jill von ihrem Brautkleid halten? Vor ein paar Tagen ist es endlich fertig geworden und... Nun ja,
Madame Henri hat es inspiziert und mich angeschaut und gesagt: »Gut. Sehr gut.«
Aus ihrem Mund ein ungewöhnlich hohes Lob. Noch bedeutsamer war die Kritik ihres Mannes. Dazu gehörten ein ausgiebiges Kratzen am Kinn, eine langsame Wanderung durch die Werkstatt, zwei oder drei gezielte Fragen nach den Tartan-Bändern und schließlich ein Nicken und ein »Parfait« .
Damit hat er keine Eiscreme gemeint, sondern: »Perfekt.«
Aber er ist nicht der Kritiker, dessen Urteil ich am meisten fürchte. Noch weiß ich nicht, ob das Kleid auch der Braut des Jahrhunderts gefallen wird.
Eine Stunde nach Ladenschluss taucht sie auf. Wir haben die letzten Kundinnen hinausgescheucht, die Jalousien herabgelassen und das Licht im vorderen Raum gelöscht, um den Eindruck zu erwecken, wir wären bereits gegangen. Mit dieser Maßnahme halten wir uns die Paparazzi vom Leib.
Als es um Punkt sieben Uhr klingelt, eilt Madame Henri zur Tür und öffnet sie, ohne das Licht anzuknipsen. Zwei schattenhafte Gestalten huschen herein. Zuerst ärgere ich mich, weil Jill mit ihrem Verlobten aufkreuzt – wo doch jeder weiß, dass es Unglück bringt, wenn der Bräutigam das Brautkleid vor der Hochzeit sieht.
Dann erinnere ich mich, wie sie zu jeder Anprobe allein erschienen ist und so bedrückt ausgesehen hat – nicht nur von der Presse gepeinigt, sondern auch von ihrer eigenen gesellschaftlichen Isolation. Ihre Familie lebt weit entfernt. Und ihre Freundinnen wissen genauso wenig über Brautkleider wie sie selber.
Deshalb bin ich froh über Johns Anwesenheit. Die ganze Zeit hat er sein Bestes getan, um ihr die Situation zu erleichtern. Er mischte sich sogar in die Verhandlungen über den Ehevertrag ein und bestand auf einer fairen Regelung für Jill, andernfalls würde er die Namen seiner Eltern von der Gästeliste streichen. Mit dieser kühnen Drohung erzielte er den gewünschten Erfolg und entzückte Mr. Pendergast so sehr, dass er bei der Firmenweihnachtsfeier im Montrachet eine Extrarunde Champagner bestellte. (Dieses
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