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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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zusammen mit einer Katharina Schwaber. Ich bin vor dir dran. Wenn es vorbei ist, gehe ich Drachen steigen lassen. Du könntest mitkommen. Bei den Roßwiesen ist …«
    »Ich muss lernen, Friedel.
Jetzt!
«, sagte Svenja und legte auf.
    Sie hatte das Testat völlig vergessen.
    Erst als sie zurück in die Küche kam, bemerkte sie die Kanne Kaffee auf dem Tisch. Daneben stand eine Tasse. Sie ging mit ihrem Kaffee zum Fenster und beugte sich hinaus, um die Luft zu schmecken und wach zu werden. Über ihr baumelte jemand mit den Beinen. Nashville saß auf dem Ziegeldach direkt oberhalb des Fensters.
    »Guten Morgen«, sagte Svenja. Er grinste zwischen seinen Knien hindurch eine Antwort. Die Panik der Nacht war vergessen. Geblieben waren die Worte.
    »Wer ist
sie
?«, fragte Svenja aufs Dach hinauf. »Und warum ist
sie
verschwunden?«
    Nashville machte sein Gesicht zu und sah geradeaus.
    »›Sie ist jetzt seit zwei Wochen weg‹, hat er gesagt«, fuhr Svenja fort. »Und du bist seit zwei Wochen hier. ›Der Kleine‹, hat er gesagt, ›der Kleine spricht nicht mehr.‹
Der Kleine
, das bist doch du. Der Typ auf der Parkbank kannte dich. Also hast du früher gesprochen, ja? Warum sprichst du dann jetzt nicht mit mir?«
    Sie sah die Tasse an, und in der Tasse spiegelte sich ihr Ärger. Hatte sie ein Recht dazu, ärgerlich zu sein?
    »Danke für den Kaffee«, sagte sie etwas schroff. »Nashville … bitte … komm runter da.«
    Er kam nicht.
    »Hör mal, ich muss lernen«, sagte sie. »Anatomie. Ich habe morgen eine Prüfung, bis dahin muss ich das ganze Zeug wiederholt haben. Und in dieser Wohnung fällt mir langsam die Decke auf den Kopf. Ich packe meine Sachen und gehe irgendwo anders hin zum Lernen. Bleibst du hier?«
    Nichts.
    »Kommst du denn alleine da runter?«
    Blöde Frage.
    »Nashville, ich will mich nicht mit dir streiten«, sagte Svenja, aber vielleicht wollte sie genau das. Vielleicht würde er endlich reden, wenn sie stritten.
    Wenn Nashville Teil eines größeren
Wir
war, wie der auf der Bank gesagt hatte, dann gab es womöglich einen sehr genau berechneten Grund dafür, dass er hier war. Und dass er nicht sprach.
    Sie kam sich seltsam ausgenutzt vor. Sie besaß nichts von Wert, das man ihr stehlen konnte, aber wahrscheinlich war auch sie nur ein Stück des Plans … welches Plans?
    »Ich gehe jetzt«, sagte Svenja. »Ich bin irgendwann nachmittags zurück. Oder abends.«
     
    Vor der Kirche saß Katleen und nahm einen Fisch aus. Svenja beobachtete eine Weile, wie sie seine Innereien auf Zeitungspapier ausbreitete.
    »Karl will sie zeichnen«, sagte sie.
    »Kater Carlo?«
    »Oder so«, sagte Katleen. »Ich weiß nicht, was er an den Innereien eines Fisches so interessant findet …«
    »Wenigstens müsst ihr nicht auswendig lernen, wie die Nerven und Gefäße des blöden Fisches heißen«, murmelte Svenja. Sie sah zu ihrem Dach hinauf. Nashville saß immer noch da. Aber er hatte die Augen geschlossen.
Ich bin nicht zu Hause. Wink mir nicht.
    Auf einmal tat es Svenja leid, dass sie ärgerlich gewesen war.
    »Ich gehe Anatomie lernen«, sagte sie. »Grüß Kater Carlo von mir.«
    »Wenn er bis abends aufgewacht ist«, sagte Katleen und zuckte die Schultern. »Gestern Nacht war es ziemlich früh morgens in der Ulrichstraße drei.«
    Svenja verlagerte das Gewicht der bunten Spiegeltasche mit ihren Büchern auf die andere Seite.
    »Katleen … Friedel sagt, er ist unglücklich verliebt. Der spanische Kater.«
    »Natürlich«, sagte Katleen und schnitt den Kopf des Fisches ab. »Wer ist das nicht? Geh jetzt. Du wolltest lernen.«
    Von Wollen konnte keine Rede sein. Svenjas Kopf war zu müde und zu schwer zum Lernen und ihre Gedanken ganz steif, wie verrostet. Auf der Hirnschublade, die mit
ANATOMIE
beschriftet war, saß eine Schattenfigur mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze und flüsterte: »Du wirst es verpatzen. Der Arm hat tausend Gefäße und tausend Nerven, und der Thorax wird übrigens auch abgefragt beim Testat …«
    Sie wanderte zum Anlagensee, wo ein Penner im Gebüsch leere Flaschen sammelte. Es war der Zugfütterer, und Svenja wich ihm aus, sie hatte keinen Nerv (und auch keine Arterie) für ein Gespräch. Hinter dem See lagen lang gestreckt die Gebäude von mehreren Schulen. Plötzlich wünschte sie sich zurück. Zurück in die sicheren Zwänge des Schüleralltags, in dem man zu bestimmten Zeiten zu Hause sein musste und das Duschwasser immer warm war. Gegenüber von den Schulen, zwischen

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