Natascha
Ohr. »So schön ist's, bei dir zu sein …«
Die Kälte ergriff sie … die Lippen biß sie sich blutig, um nicht zu schreien.
Glücklich bist du, Natascha, sagte sie zu sich. Glücklich –
Gegen Morgen begann es zu schneien.
Es gab keine Erde mehr und keinen Himmel, keine Wälder und keine Menschen.
Nur Schnee … Schnee …
Luka war glücklicher gewesen. Wirklich, der Himmel ist mit den Idioten, da sieht man's wieder! Er rannte um sein Leben, und nachdem er weder Natascha noch den deutschen Offizier mehr sah, sondern nur Granateinschläge und rennende Rotarmisten, blieb er stehen, hob die Arme hoch in die Luft und brüllte:
»Genossen! Ihr wollt doch Luka nicht erschießen! Brüderchen – seid nicht blind und blöd! Euer Fleisch und Blut bin ich, ein Russe, ein Kommunist –«
Nicht vermeiden ließ es sich, daß man ihn in den linken Arm schoß. Versehentlich, wie's sich später herausstellte. War einfach losgegangen, das Schüßchen. Auch ein Gewehr kann nervös werden. Na, wer sagt's denn. Im Krieg ist alles möglich! Nur war's nicht schlimm. Der Schuß jagte durch Lukas dickes Fleisch, als schieße man einer Kuh durch den Hintern, beim Ein- und beim Ausschuß blutete es etwas, man drehte drei Mullbinden herum und führte den Riesen zum Kommandeur.
Major Fjodor Malachow starrte Luka an, als habe er noch nie einen Menschen gesehen, der aussah wie ein Urwelttier. Luka sah so aus, und er trug's mit Stolz.
»Woher?« brüllte Major Malachow, als er Luka grinsen sah.
»Das ist schwer, Genosse Major. Die Frage ist zu einfach. Seit 1941 bin ich unterwegs. Erst als Adjutant meines Fedja Iwanowitsch, dann als Adjutant von Leutnant Natascha Astachowa … überall waren wir, in den Sümpfen, in Posstoly, in Pjatrykow, in Mikaschewitschi … wo Sie wollen, Genosse Major. Daß Sie gesiegt haben, ist unser Verdienst, denn wir waren die Maden, die im deutschen Speck saßen.«
Major Malachow strich sich über die Stirn. »Wie kann ein so riesenhafter Kerl ein so kleines Gehirn haben!« sagte er ehrlich verblüfft. »Wer war der Deutsche, der bei euch war?«
»Ein Offizier, Genosse Major.«
»Warum lebte er noch?! He?!«
»Natascha wollte es so.«
»Der Teufel hole sie, diese Natascha!«
»Sagt das nicht! Um Kapitän Iwan Kotelnikow hat sie sich nicht gekümmert, und Washa Krepychew war vor ihr wie ein Idiot! Sogar Generalissimus Stalin hat an sie geschrieben und ihr einen Orden verliehen!«
Major Malachow verzog wieder das Gesicht. »Und der deutsche Offizier? Was hat die Ratte bei den Jägern zu suchen?! Erklär mir das, he! Hat wohl bei deiner Heldin geschlafen, der Deutsche, was?! Dem Genossen General werde ich's melden! Aber sie hat ihre Strafe. Eins draufgebrannt haben wir ihr … ihr und dem deutschen Offizier!«
Luka senkte den Kopf. Sein Herz war plötzlich wie gestorben. Ob's stimmt, dachte er. Möglich ist es … nicht mehr gesehen habe ich sie. Plötzlich war sie weg, und die Erde wirbelte um mich herum.
»Sie haben sie erschossen, Genosse Major?« sagte er mühselig. »Das wird Ihnen Stalin übelnehmen!«
»'raus!« brüllte Malachow. Er hieb mit der Faust auf den zusammenklappbaren Kartentisch. »Du meldest dich bei Leutnant Prokopenkow! Und nachsehen werde ich, ob du nicht desertiert bist! 'raus mit dir!«
Gehorsam verließ Luka das geheizte Zelt. Draußen starrte er hinüber zum Wald. Eine breite Wand war er, die sich vor den Horizont schob, dunkel, undurchdringlich, schweigsam, seit die Wölfe und Füchse, die Marder und Hermeline, ja sogar die Vögel vor dem Krieg geflüchtet waren.
Dort wird Natascha liegen, irgendwo im Schnee. Niemand wird sie begraben … im Frühjahr wird das Schmelzwasser sie aufweichen, und der Wind wird sie zerfallen lassen. Das ist kein gutes Begräbnis, dachte Luka. Etwas Besseres hat sie verdient. War immer ein guter Kommunist, die Natascha Astachowa. Und die Sache mit dem deutschen Offizier … na ja, auch Kommunisten sind Menschen, soll man meinen. Es gibt Grenzen in der Weltanschauung, und eine ist das Bett. Was kann man dagegen tun, Genossen? Machtlos ist man … ein Stückchen Natur bloß ist doch der Mensch. Vergessen wir's nicht –
In der Nacht wurde Major Malachow vom wachhabenden Offizier aus den wattierten Decken geholt. Luka war wieder weg. Das war nicht schlimm, es erleichterte sogar das Gewissen Major Malachows, der sich sehr Gedanken machte, was er sagen sollte, wenn Natascha Astachowa wirklich eine ›Heldin der Nation‹ gewesen war. Viel
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