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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sich und knirschte dann mit den Zähnen, weil der Schmerz wieder durch seinen ganzen Körper raste. Gestützt auf zwei Latten, die er neben der Scheune gefunden hatte, humpelte er stöhnend und mit den Zähnen klappernd aus dem Versteck und sah durch die schillernden Punkte, die vor seinen Augen tanzten, die schwarze Linie der unendlichen Wälder am Horizont.
    »Ich hätt's auch da hinten tun können!« sagte Luka und schüttelte den Kopf. »Zu eilig war's, verdammt!«
    Drei Tage brauchte er, bis er zur Hütte kam. Mit seinem Hemd hatte er sich verbunden, an Bächen auf der Seite liegend getrunken und ein erschlagenes Huhn wie ein Wolf roh verzehrt. Ab und zu, allein in der Weite des Landes, hatte er auch wie ein Wolf geheult, vor Schmerz und vor plötzlicher Angst, nicht mehr in den Wald zu kommen.
    Nun war er da … stolperte durch die Stämme und winkte mit der rechten Hand, als er Natascha neben der Hütte sah, die Maschinenpistole schußbereit vor der Brust.
    »Täubchen!« brüllte er. »Nataschka … mein Liebling … Luka ist's … Der Invalide Luka, der keinen Krieg mehr kennt …«
    Dann brach er zusammen, bevor Natascha die Waffe wegwerfen konnte. Er fiel der Länge nach auf das Gesicht, mit vorgestreckten Armen, aber Kraft hatte er noch, der Bär, zu sagen, bevor er völlig die Besinnung verlor:
    »Nicht schlimm ist's, Natascha … ein Kratzer bloß … Nur Hunger hab' ich … Geh, brat mir ein Häschen …«
    Dann verließ ihn das Bewußtsein, und er hörte nicht mehr, wie Natascha aufschrie, als sie sein Bein sah. Dick, aufgequollen und dunkelrot …
    In der Nacht ritt Natascha wie ein wilder Kosak aus dem Wald hinaus nach Kaluga. Das Pferdchen warf die Beine vor und keuchte, weil es getrieben und geschlagen wurde.
    In der Hütte lag Luka und schrie im Fieber.
    »Ich hole einen Arzt!« hatte Natascha gesagt. Aber er verstand sie nicht mehr. Er tobte und schrie im Fieber nach einem Stück nassen Brot.
    Da war sie losgeritten, und nun flog sie über die Felder und schlug das Pferdchen und beugte sich tief über seinen Nacken und schrie ihm grell in die zurückgelegten Ohren.
    »Dawai! Dawai! Dawai!«
    Sie watete mit dem Pferd durch den Fluß, und triefend hielt sie in Kaluga den ersten Mann an, der sie anstarrte wie ein Gespenst.
    »Wo ist ein Arzt?« schrie sie, sich an der Mähne festklammernd.
    »Einen Arzt, Genossin? Einen richtigen Doktor?« Er betrachtete sie mit wirklichem Erschrecken. »Wo kommt Ihr denn her?«
    Natascha hieb mit einem langen Holzstück, mit dem sie das Pferdchen angetrieben hatte, dem Starrenden ins Gesicht und schrie:
    »Wo ist ein Arzt, du Hundedreck?!«
    Der Mann tat einen Satz zur Seite, dann lief er davon, als sei ihm der Leibhaftige erschienen. Im Dunkel der Häuserschatten tauchte er unter, beide Hände vor dem geschlagenen Gesicht.
    Noch siebenmal fragte Natascha, ehe sie einen alten Feldscher fand. Er lebte in einem kleinen Haus am Fluß und war beauftragt, für die Gesundheit seines Bezirkes zu sorgen. Die dienstfähigen Ärzte waren alle in der Roten Armee und marschierten nach Berlin.
    Natascha warf den alten Viktor Viktorowitsch Jusha aus dem Bett. In einem langen Nachthemd schlurfte er durch das Zimmer und hob jammernd die Arme gegen die rauchige Decke.
    »Ein Unglück! Mir dieses Unglück! Du bist bei den Deserteuren, nicht wahr? Sonst wäre er ja selbst gekommen, was?! Ich müßte dich melden … sofort, beim Kommandanten! Ich möchte noch ein paar Jährchen leben, Genossin … ein paar Jährchen nur, um zu wissen, was Frieden ist …«
    »Hör mit dem Jammern auf!« schrie Natascha. Sie stand mitten im Zimmer, noch immer von Wasser triefend, ein kleines schwarzhaariges Teufelchen, das keine Gnade kannte. »Wenn jemand fragt, wer hier war, so sage: Natascha Astachowa, die Trägerin des Leninordens und ›Heldin der Nation‹!«
    Viktor Viktorowitsch Jusha hörte sofort mit dem Jammern auf. Nachdenklich, ja fast mitleidig sah er auf Natascha. Verrückt ist es auch, das Täubchen, dachte er. Was soll man tun? Verrückte sind gefährlicher als die Wölfe.
    »Was willst du also?« fragte er.
    »Ich brauche Verbandzeug. Tabletten gegen Schmerzen. Mittel gegen Wundfieber. Ich brauche eben alles …«
    Viktor Viktorowitsch Jusha setzte sich in seinem langen Nachthemd auf die Ofenbank und legte die verrunzelten Hände in den Schoß.
    »Einen Operationssaal willst du nicht mitnehmen?«
    Natascha verstand. Lustig machte er sich über sie und den im Fieber schreienden Luka.

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