Nathanael
durch, an deren Zweigen zartgrüne Knospen sprossen, die nur darauf warteten, endlich in der Frühlingssonne aufzubrechen.
Tessa schrak zusammen und fuhr herum, als sie plötzlich etwas an der Schulter berührte. Außer einem jugendlichen Liebespaar, das auf einer der Bänke saß und knutschte, war niemand zu sehen. Dennoch klopfte ihr Herz eine Spur heftiger und ihre feinen Nackenhärchen stellten sich auf.
Sie zuckte mit den Achseln und schob ihre Reaktion erneut auf ihr gestriges Trauma. So ähnlich war es ihr auch damals nach dem Überfall ergangen. Sie hatte sich Dinge eingebildet, die gar nicht existierten.
Ihr Wagen parkte auf der gegenüberliegenden Seite der Fifth Avenue. Es war gegen zehn, New York erwachte. Zahlreiche Touristen mit Stadtplänen in der Hand liefen die Straße entlang. Aber auch viele New Yorker nutzten den Tag für einen Ausflug. Die Besucher fürs Naturkundemuseum verstopften den Gehweg.
Tessa quetschte sich durch einen Pulk Touristen am Straßenrand und nutzte die Verkehrslücke, um die Straße zu überqueren.
In dem Augenblick, als sie einen Schritt vortrat, versetzte ihr jemand einen Stoß in den Rücken. Halt suchend ruderte sie mit den Armen in der Luft, bevor sie der Länge nach auf die Straße schlug. Ihre Hände und Knie brannten wie Feuer und in ihrem Kopf dröhnte ihr Herzschlag, dumpf und schwer.
Benommen blieb sie liegen und starrte auf die aufblinkenden Scheinwerfer des sich nähernden Greyhound-Busses, die sich plötzlich in rot glühende Augen verwandelten. Wie durch einen Nebel nahm sie Schreie und lautes Hupen wahr.
Die immer stärker werdende Angst lähmte sie und erstickte jeden Laut in ihrer Kehle. Bilder der Vergangenheit stürmten auf sie ein. Damals hatte sie auch als Erstes die Scheinwerfer gesehen, bevor der Transporter in die Fensterscheibe und direkt auf sie zugerast war. Sie war vor Angst gelähmt gewesen, bis sie jemand am Arm fortgerissen und sich mit ihr auf den Boden geworfen hatte. Dann knallten die Schüsse. Aber das lag lange zurück.
Jetzt lag sie mitten auf der Fifth Avenue. Und wenn der Bus nicht rechtzeitig bremsen konnte, wäre es um sie geschehen.
Die roten Augen hatten sie fast erreicht. Noch immer lag sie teilnahmslos da, als befände sie sich in einem Film. Dabei sah sie dem Tod in die Augen. Gleich wäre alles vorbei. Verdammt, warum rührte sie sich nicht?
Plötzlich packten sie kräftige Hände an den Schultern und rissen sie hoch. Ein muskulöser Arm schlang sich um ihre Taille und drückte sie an einen harten, männlichen Körper. Der Mann rannte mit ihr weiter, während hinter ihnen die Reifen des Busses quietschten. Ein Knall berstenden Metalls ließ sie zusammenzucken. Sie zog den Kopf ein und wartete darauf, getroffen zu werden.
Doch der Mann bugsierte sie sicher zwischen den Autos hindurch zur anderen Straßenseite. Bei jeder Bewegung spürte sie seine Muskeln am Rücken. Er roch angenehm nach Sandelholz und frischer Luft und nach etwas undefinierbar, aber durchaus anziehend Herbem.
Tessa wehrte sich nicht, sondern blickte an sich hinunter. Gepflegte Männerhände drückten sich in ihre Taille und ihren Bauch und ließen erst los, als er sie auf dem Gehweg absetzte. Sie wollte sich gerade bei ihm bedanken, als er sie mit seinem Körper derb gegen die Museumsmauer presste und ihr den Mund mit seiner Hand verschloss. Es war der Fremde aus der U-Bahn. Verfolgte er sie etwa?
Die kalte Steinmauer drückte sich unangenehm in ihren Rücken. Was sollte das denn? Sie wollte ihn empört fortstoßen.
«Keinen Mucks», raunte er, «er sucht nach dir.»
Tessa sah fragend zu ihrem Retter auf, dessen Augen sich unruhig hin und her bewegten. Sie spürte seine angespannten Muskeln an ihrem Körper, was ihre Gedanken wieder in eine gefährliche Richtung dirigierte.
Nach einer Weile entspannte er sich und nahm seine Hand von ihrem Mund.
«Er ist weg.»
«Wer?»
«Der, der dich vor den Bus geschubst hat.» Sie hatte es sich also nicht eingebildet und war froh, dass es einen Zeugen dafür gab.
«Ich kenne ihn gar nicht. Warum hat er das getan?»
Er zuckte mit den Achseln. «Es gibt genügend Kriminelle und Verrückte.»
«Haben Sie seine Augen gesehen? Die waren leuchtend rot.»
Der Fremde senkte den Blick. «Nein, mir ist nichts aufgefallen.»
Tessa hatte das Gefühl, dass er ihr nicht die Wahrheit sagte. Aber vielleicht bildete sie es sich auch nur ein. Langsam interpretierte sie in alles etwas hinein und war wegen Hazel
Weitere Kostenlose Bücher