Nathanael
seiner Liste? Oder war er als Priester geschützt?
Tessa rollte mit den Augen. Sie fühlte sich erschöpfter denn je.
«Und wenn du dich irrst und diese Dämonen doch etwas mit Hazels Tod oder den anderen Selbstmorden zu tun haben?», fragte sie nach einer Weile.
Ernest zuckte mit den Achseln. «Aber es gibt sie schon so lange auf der Welt. Wieso die Selbstmorde erst jetzt? Das ergibt keinen Sinn.»
Dennoch war Tessa davon überzeugt, dass die Dämonen in diese Selbstmorde verwickelt waren.
Ernest ergriff ihre Hände und sah sie eindringlich an.
«Bitte, Tessa, du darfst auf keinen Fall mehr allein rausgehen. Verriegele die Fenster und Türen. Du könntest einem Gefallenen begegnen.»
«Du meinst doch nicht etwa einen gefallenen Engel? So wie Luzifer?»
Er nickte. «Sie sind gefährlicher, als du dir vorstellen kannst.»
Wie stellte er sich das vor?
«Wie soll ich das meinem Chef erklären? ‹Hey, Mr Miller, mir kleben gefallene Engel am Hacken. Ich kann nicht mehr allein aus dem Haus. Entweder kommt mein Bodyguard mit oder ich kündige.› Die lassen mich noch ins Irrenhaus einweisen.» Sie sank seufzend aufs Sofa zurück. «Wenn Steven doch nur hier wäre … Dabei mag ich mir eigentlich gar nicht vorstellen, was er zu dem allen sagen würde.»
Unwillkürlich kam ihr Nathanael in den Sinn …
Nein, nicht wieder an ihn denken. Sie musste ihn vergessen, ein für alle Mal.
«Dann verlass deine Wohnung nicht allein», forderte Ernest. «Ruf mich an, wenn du keine Begleitung hast, okay?» Er drückte ihre Hände eine Spur fester. «Bitte, Tessa. Ich habe Angst um dich.»
Tessa schluckte hart. Sie musste sich in einem Alptraum befinden, anders wäre sie schon vor Angst durchgedreht.
«Bitte,» beharrte ihr Bruder.
«Ja, okay.» Es fiel ihr nicht schwer, dieses Versprechen zu geben, denn seit den Geschehnissen der letzten Tage verspürte sie sowieso keine Lust auf Streifzüge. Und zu Hazels Wohnung würde sie auch nicht mehr fahren.
«Was ist, wenn du angegriffen wirst, weil du diesem Blutengel geholfen hast?»
Nun hatte sie die Frage doch gestellt.
«Dann hätten sie es längst getan, oder? Nein, es muss etwas anderes dahinterstecken. Du musst mich sofort informieren, wenn dir etwas Merkwürdiges auffällt.»
«Wenn ich einen von ihnen treffe, werde ich sicherlich nicht mehr in der Lage sein, dir noch eine Info zu geben.» Sie schnitt eine Grimasse und lachte freudlos. Das Lachen half ihr, ihre Ängste zu bewältigen, aber sie wusste, die Furcht würde schnell zurückkehren.
9.
An der Börse herrschte Hochbetrieb. Nie hatte es mehr Umsätze gegeben wie am heutigen Tag. Aber Tessa war froh, dass im Büro das Telefon nicht mehr stillstand und ihr keine Zeit zum Nachdenken blieb. Erst als sie das Büro verließ und die Anspannung abfiel, dachte sie wieder an Hazel. Es war ihre Pflicht und Schuldigkeit, die Hintergründe ihres Todes zu recherchieren.
Es dämmerte schon, als Tessa endlich das Bankgebäude verließ. Zuerst wollte sie die Frau aufsuchen, die mit Hazel an der Séance teilgenommen hatte.
Wenn Ernest davon erfuhr, dass sie sich allein auf den Weg machte, konnte sie sich eine Standpauke anhören. Schließlich hatte sie es fest versprochen. Aber sicher fühlen konnte sie sich doch nirgends in New York, und sie konnte sich nicht für den Rest ihres Lebens in ihrer Wohnung verschanzen. Das wäre paranoid. Schließlich hatte sie sich geschworen, die Wahrheit herauszufinden.
Tessa seufzte und zog den Zettel mit den Namen aus der Tasche, die sie Hazels elektronischem Kalender entnommen hatte. Sie winkte sich ein Taxi heran und stieg ein.
«Wohin?», fragte der Fahrer mit undefinierbarem Akzent und kaute auf einem Zahnstocher herum.
«Park Avenue, Ecke 116 East», las sie laut vom Zettel ab. Der Name der Séance-Teilnehmerin lautete Jenna Mayor. Hazel hatte diesen Namen nie erwähnt, dessen war sie sich sicher.
Anstelle einer Antwort nickte der Taxifahrer und trat aufs Gaspedal. Der Wagen schoss mit einem Ruck nach vorn und presste Tessa tief in den Sitz.
Tessa lehnte sich nach vorn zum Fahrer. «Wir befinden uns nicht in einem James-Bond-Film, Sie brauchen niemanden zu verfolgen.»
«Schon gut», antwortete er mit schnarrender Stimme. Ihre Gedanken kreisten bereits um Jenna Mayor, die in einer recht privilegierten Gegend Manhattans wohnte.
Kurze Zeit später stand sie vor der richtigen Haustür. Der Name auf der Metallplatte neben der Tür war zerkratzt und nur noch zu erahnen. Es
Weitere Kostenlose Bücher