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Natürliche Selektion (German Edition)

Natürliche Selektion (German Edition)

Titel: Natürliche Selektion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
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schwarzen Herren schauten verständnislos zu. Erst als sie sich anschickte, die linke Hälfte der Bluse zur Seite zu schieben, um die nackte Schulter zu zeigen, entpuppte sich der Freundliche plötzlich als nicht mehr so freundlich.
    »Lassen Sie das!«, rief er aus. Treten Sie zurück. Das ist eine geschlossene Gesellschaft. Sie dürfen hier nicht durch.«
    Nur zögernd knöpfte sie die Bluse wieder zu und wandte sich schließlich zornig ab. »Unerhört!«, schnauzte sie die Männer an, bevor sie wegging. »Ich werde mich beim Colonel aufs Schärfste beschweren.«
    Audrey wusste nicht, sollte sie lachen oder sich ärgern. Sie entschied sich für etwas dazwischen und meinte: »Klasse Aktion, aber dein Plan war Schrott«, als sie außer Hörweite waren.
    »Na ja, immerhin wissen wir jetzt, dass sie Hundemarken tragen.«
    »Man hat ihnen einen RFID-Chip unter die Haut gepflanzt, wie das gewisse Clubs ihren Mitgliedern schon lange anbieten.«
    Leo blickte sie mürrisch an. »Mag sein«, sagte sie verdrießlich. »Wenn die allerdings glauben, ich gäbe mich geschlagen, irren sie sich.«
    »Willst du die Bude stürmen, oder denkst du, meine Polizeimarke beeindruckt sie?«
    »Ich muss da hinein. In diesem Kloster sind alle wichtigen Mitglieder dieser ehrenwerten Gesellschaft beisammen, und ich will wissen, was sie hier verhandeln, Punkt.«
    Sie verstand ihre Mutter nur allzu gut. Auch sie wollte nicht so schnell aufgeben. Das Problem war nur, dass sie spätestens jetzt einen Plan brauchten. Die Zeit drängte. Die Glocken der Kathedrale schlugen zehn. Der letzte Besucher hatte das Tor passiert. Das Gitter wurde geschlossen. Nur zwei Sicherheitsleute blieben als Wache beim Eingang, die andern hatten wohl im Innern der Kirche ihre Posten bezogen. Durch dieses Tor konnten sie nicht hinein. Über die Mauer klettern wie Apfeldiebe ging auch nicht. Das alte Gemäuer war fast zwei Stockwerke hoch und umschloss die Anlage lückenlos. Lückenlos? Wie elektrisiert stieß sie Leo in die Seite und sagte aufgeregt: »Es gibt einen zweiten Eingang.«
    »Was sagst du da?«
    »Ja, auf dem Weg zum Steg hinunter sind wir daran vorbeigegangen, erinnerst du dich?« Leo schüttelte nur den Kopf. Sie hatte das kleine Türmchen an der Ecke zur Brücke nicht beachtet. Aber es musste sich um ein zweites Tor handeln, das sie allerdings mit bloßen Händen kaum aufkriegen würden. Audrey wusste, dass es falsch war, aber die Neugier trieb sie zum Wagen zurück. »Warte hier, ich hole Werkzeug«, flüsterte sie und verschwand in die Dunkelheit. Als sie zurückkam, steckte eine geradezu winzige Hochleistungslampe in ihrer Tasche. Mit der konnte sie ebenso gut eine Bühne ausleuchten wie eine hundert Meter entfernte Person aufspüren. Das Leben als Polizistin hatte seine Vorteile. Das schwere Gerät in ihrer Hand allerdings gehörte zu einer primitiveren Kategorie von Werkzeugen und provozierte Leo zum unvorsichtigen Ausruf:
    »Spinnst du? Was willst du mit dem Brecheisen?«
    »Ich denke, wir brauchen einen Schlüssel«, gab sie ungerührt zurück und machte sich auf den Weg. Leo blieb mit offenem Mund stehen. »Wenn du da hinein willst, musst du schon mitkommen«, bemerkte sie trocken.
    Sie nutzten die Deckung des geparkten Busses, um ungesehen auf den Weg zum Fluss zu gelangen. Nach wenigen Schritten standen sie vor dem Türmchen, das wie ein Pförtnerhäuschen an der Mauer klebte. Zwei Rundbogen durchbrachen die Wand unter dem Kegeldach. Der eine auf der Straßenseite war vergittert, der andere offen. Leo zögerte wieder, da packte sie ihren Arm und zog sie unsanft hinein. Sie atmete auf, als sie den schwachen Lichtschein sah, der durch das Gitter zum Garten ins Häuschen drang. Eine Weile regten sie sich nicht und lauschten. Der Generator summte der leise am Tor. Ein verspäteter Laster fuhr auf der Strasse jenseits des Flusses vorbei. Im dunklen Klostergarten regte sich nichts. Der süßliche Duft nach Anis, Rosen und Lavendel verriet die Vielfalt der Kräuter, die hier gediehen. Keiner der Sicherheitsleute war zu sehen, nur Wortfetzen ihrer Unterhaltung hörten sie.
    Sie stellte ihre Taschenlampe auf die niedrigste Leuchtstufe und einen eng begrenzten Lichtkegel ein und wagte einen Blick auf das Schloss des Gitters. Es war offen, stellte sie überrascht fest, aber eine Eisenkette mit Vorhängeschloss hielt die Torflügel zusammen. Die wacklige Konstruktion passte ideal zu ihrer Ausrüstung. »Glück muss der Mensch haben«, flüsterte sie

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