Nebenwirkungen (German Edition)
diesem erbärmlichen Zustand mit seiner ahnungslosen Geliebten sprechen? Aber sie hatte keine Wahl, sie musste Heike Wolff schnellstens informieren. Nach langem Zögern griff sie schließlich zum Hörer.
Nach dem aufwühlenden Gespräch saß sie bedrückt an ihrem Schreibtisch und starrte ins Leere. Es war ihr klar, dass sie für heute Schluss machen sollte, doch ein Anruf musste noch sein. Sie schaute eine Weile dem Treiben der Möwen über dem Wasser tief unter ihr zu, um sich zu sammeln, bevor sie die Nummer des Professors in Cambridge wählte.
»Hallo?«, meldete sich Robert Barnards Haushälterin.
»Samantha Herbert von Life! Kann ich bitte mit Professor Barnard sprechen?«
»Oh, ich erinnere mich, Sie waren neulich hier und hatten den Unfall. Es ist etwas Schreckliches geschehen«, antwortete Mrs. Carvalho aufgeregt. »Der Professor ist im Spital unter Quarantäne. Es geht ihm sehr schlecht.« Wortreich und leidenschaftlich schilderte sie der sprachlosen Samantha, wie Robert Barnard kurz nach seiner Rückkehr aus dem verhexten Afrika an hohem Fieber und Brechreiz erkrankt war. Vor drei Tagen ließ ihn der Hausarzt mit Verdacht auf Malaria ins Spital einliefern.
»Nein, der Verdacht hat sich nicht bestätigt«, fuhr Mrs. Carvalho fort. »Die Ärzte wollen nichts sagen. Wenn Sie mich fragen, wissen die selbst nicht, was los ist. Der arme Professor. Ich mache mir größte Sorgen. Jeden Tag besuche ich ihn, aber sie lassen mich nicht zu ihm. Ich habe seit seiner Einlieferung nicht mehr mit ihm sprechen können, es ist zum Verzweifeln.« Mit einem tiefen Seufzer holte sie Luft und entlud sogleich ihre Sorge und den angestauten Ärger in einem weiteren Wortschwall. Erst nachdem sie den Hörer wieder aufgelegt hatte, begann Samantha zu begreifen, was geschehen war. Was zum Teufel hatten diese beiden armen Kerle aus Afrika eingeschleppt? Keine vier Stunden hatte es gedauert, um ihre vertraute Welt gründlich zu zerfetzen und sie völlig zu verunsichern. Sie musste unbedingt mit Robert sprechen, musste wissen, was in Botswana geschehen war. Er durfte nicht auch noch sterben.
Cambridge
Heike beobachtete die ältere Frau im strengen schwarzen Kostüm am Steuer neben ihr unauffällig. In den letzten Stunden hatte sich ihre ursprünglich argwöhnische Haltung gegenüber Samantha in Achtung, ja beinahe eine gewisse Vertraulichkeit gewandelt. Sie hatte erlebt, wie nahe der vermeintlich hartgesottenen, kompromisslosen Geschäftsfrau der Tod ihres Mitarbeiters gegangen war. Samanthas Mitgefühl hatte ihr den schweren Gang zu Kyles Beerdigung heute Morgen etwas erträglicher gemacht.
Die letzten Tage und Nächte hatte sie als einzigen Albtraum erlebt. Nach Samanthas Anruf war sie in ihre Wohnung geflüchtet, hatte sich dort eingeschlossen und die Nacht und den folgenden Tag im aufgewühlten Bett verbracht, hin und her gerissen zwischen Apathie, Verzweiflung, Wut und selbstzerstörerischen Vorwürfen. Sie wusste nicht weshalb, doch irgendwie fühlte sie sich mitschuldig am unerklärlichen Tod ihres Geliebten. Die kurze Amour fou hatte ihr nüchternes Leben mit strahlendem Sonnenschein erfüllt, und diese Sonne war jetzt für immer untergegangen. Nur die Hartnäckigkeit ihrer Assistentin Amélie hatte verhindert, dass sie in eine tiefe Depression gefallen war. Trotzdem würde sie wohl lange nicht mehr ohne Tränen in den Augen von der Schlossterrasse auf die Stadt hinunter schauen können.
»Den Weg kenne ich ja nun«, bemerkte Samantha ironisch, als sie die M11 bei Trumpington verließen. Sie hatte Heike von ihrem mysteriösen Unfall erzählt. Nun steuerte sie wieder das Spital in Cambridge an, in dem sie vor noch nicht allzu langer Zeit selbst gelegen hatte. Heike hoffte wie Samantha, den Professor sprechen zu können, denn seine Fieberschübe waren offenbar etwas abgeklungen und er schien auf dem Weg zur Besserung zu sein. Nach Samanthas Beschreibung zeigte er Symptome, die denen von Kyles Krankheit glichen. Das war ein Grund, weshalb Heike den Kranken sprechen und sehen wollte, doch ebenso begierig war sie, mehr über seine Zeit mit Kyle zu erfahren. Samantha parkte den Wagen vor dem Haupteingang unweit der Hill Road.
»Ward D10. Zehnter Stock links«, antwortete die Dame am Empfang kurz angebunden und zeigte auf die Aufzüge, als Samantha nach Robert Barnard fragte. D10 war die Isolationsstation für Patienten mit ansteckenden Krankheiten. Sie fanden den Professor in einem Einzelzimmer mit einem Bett, das
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