Nebenwirkungen (German Edition)
vollständig von einem transparenten Kunststoffzelt umhüllt war. Der Kranke konnte sie jedoch sehen und hören, und Heike war äußerst erleichtert, als er sie lebhaft begrüßte.
»Gott sei Dank. Samantha, bringen Sie mich hier raus«, scherzte er. Er erzählte ihnen, was er über seine Krankheit wusste und beantwortete Heikes medizinische Fragen, so gut er konnte. Erst als Samantha sicher war, dass er sich wirklich besser fühlte, rückte sie mit der Geschichte von Kyles tragischem Schicksal heraus. Robert schwieg lange, bis er schließlich konsterniert fragte:
»Aber warum? Wie kommt der Mann dazu, vor ein Auto zu rennen, und wieso bricht er plötzlich zusammen?« Das hatten sich die beiden Frauen auch schon oft gefragt. Zu Samantha gewandt fuhr er weiter: »Hat er an Nachwirkungen seiner Krankheit gelitten? Hat er sich irgendwie verändert, ist Ihnen nichts aufgefallen?« Sie überlegte und sagte schließlich zögernd:
»Aufgefallen... Er war ja erst drei Stunden bei uns. Nein, er war der alte Kyle, wie wir ihn kannten. Vielleicht noch etwas verschlafener als sonst. Jedenfalls glaube ich nicht, dass man seine kleinen Gedächtnislücken als auffällig bezeichnen muss.« Gedächtnislücken. Heike horchte auf, hakte jedoch nicht nach. Sie wollte Robert nicht beunruhigen, denn solche Symptome hatten oft keine harmlose Ursache. Sie erinnerte sich plötzlich wieder an die Blutprobe, die Kyle ihr geschickt hatte. Vielleicht ergab der Vergleich seiner Probe mit Roberts Blut einen Anhaltspunkt, deshalb sagte sie unvermittelt:
»Ich möchte Ihr Blut untersuchen. Würden Sie mir erlauben, eine Ihrer Blutproben mitzunehmen?« Robert hatte keine Schwierigkeiten damit, er würde allerdings das ganze Gewicht seines guten Namens einsetzen müssen, um die Verantwortlichen des Spitallabors zur Zusammenarbeit zu bewegen.
»Und seien Sie vorsichtig auf der Straße, wenn man Sie wieder entlässt«, bemerkte Samantha mit einem bitteren Lächeln, als sie sich verabschiedete. Sie sorgte sich ernsthaft um die Gesundheit des Mannes.
Heidelberg
Ungläubig starrte Heike auf den Bildschirm des Spektrometers in ihrem Sicherheitslabor hoch über der Stadt. Ihre Assistentin Amélie hatte die Blutproben von Kyle und Robert untersucht und sie mit zwei Worten mitten aus ihrer Arbeit an der Universität hierher gerufen: S110 positiv. Kreidebleich hatte sie die Vorlesung abgebrochen und war die Waldstraße hinauf gerast. Das war unmöglich, Amélie musste sich geirrt haben. Aber was sie nun auf dem Bildschirm sah, war eindeutig. Amélie hatte die DNA einzelner Zellen in Kyles Blut einem Realtime-PCR 3 Test unterzogen. Bei dieser Untersuchung konnte in Echtzeit beobachtet und gemessen werden, ob eine bestimmte Gensequenz in einer Probe vorhanden war. Der Abschnitt, der sie in diesem Fall besonders interessierte, war ein Bestandteil des synthetischen Mücken-Gens, das sie für die Malariabekämpfung entwickelt hatten, eine Sequenz, die in der Natur nicht vorkam, bis jetzt. Das Spektrometer maß die Frequenz und Konzentration des fluoreszierenden Farbstoffs, der die Zielsequenz markierte, mit unerbittlicher Genauigkeit, und es gab keinen Zweifel mehr. Kyle hatte einen Bruchteil des synthetischen Gens, das sie hier in Heidelberg erschaffen hatten, im Blut! Heike hatte keine Ahnung, was diese Erkenntnis bedeutete, wie sich diese Sequenz im menschlichen Körper auswirkte, doch allein die Tatsache, dass sie in Kyles Blut vorhanden war, ließ sie erschauern.
»Und Professor Barnard?«, fragte sie tonlos. Amélie nickte nur, doch Heike wollte es genauer wissen. »Quantitativ?«
»Genau gleich. Die beiden Proben sind in dieser Beziehung völlig identisch«, antwortete Amélie. Sie konnte sich genau vorstellen, welche Gedanken ihre Chefin jetzt beschäftigten, denn die Ergebnisse ihrer Analyse hatten sie ebenso schockiert. Sie hatte den Test auf S110 eher aus Verlegenheit zuletzt durchgeführt, nachdem alle anderen Untersuchungen keine auffälligen Eigenschaften der Blutproben gezeigt hatten.
»Kein Unterschied? Es gibt schon einen wesentlichen Unterschied, meine Liebe: Kyle ist tot und Robert lebt«, klagte Heike bitter. Amélie konnte ihre Reaktion verstehen, doch sie sah die ganze Sache wesentlich nüchterner und antwortete:
»Du sagst das so, als hätten wir Kyle umgebracht. Heike, wir wissen doch noch gar nicht, ob diese Sequenz überhaupt etwas bewirkt im menschlichen Körper. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie einfach untätig wie Junk-DNA
Weitere Kostenlose Bücher