Nelson, das Weihnachtskaetzchen
dick eingepackte Familien schlenderten gut gelaunt zwischen den Ständen umher.
Am Nachmittag tauchte dann Liselotte bei ihm am Stand auf. Sie hatte offenbar auch schon von den Neuigkeiten erfahren.
»Hallo, Arthur! Haben Sie das mit den Ratten schon gehört?«, platzte sie heraus. »Eine Rattenplage, heißt es überall. Ist das zu glauben? Ich habe gleich an Sie und den kleinen Nelson gedacht.«
»Kein Wunder, dass Ratten herkommen, wenn die Mülleimer an den Essständen nicht in Ordnung gehalten werden. Es wird jetzt bestimmt einigen Ärger geben.«
»Die Marktleitung macht jedenfalls ordentlich Druck. Es wurden schon Kammerjäger beauftragt. Und die Leute vom Reinigungsdienst wurden ebenfalls zum Rapport bestellt.«
Arthur nickte. Mit so etwas hatte er gerechnet.
»Sie sollten unbedingt darauf achten, Ihren Kater nicht mehr rauszulassen«, sagte sie. »Er muss in den nächsten Tagen um jeden Preis im Stand bleiben.«
»Ach, ich glaube nicht, dass Nelson Angst vor Ratten hat. Er ist ein ganz schöner Rabauke, auch wenn man das nicht von ihm denken würde.«
»Nein, nein. Sie verstehen das falsch. Diese Kammerjäger legen Giftköder aus. Damit sollen die Ratten getötet werden.«
»Sie meinen …?« Arthur wurde aschfahl.
»Ich fürchte ja«, sagte Liselotte. »Diese Köder sind bestimmt auch für Katzen verführerisch. Sie sollten halt aufpassen und Nelson nicht mehr ins Freie lassen.«
Arthur blickte sie erschrocken an.
»Keine Sorge. Wenn er drinnen bleibt, passiert ihm schon nichts«, sagte Liselotte. »Und abends nehmen Sie ihn ja ohnehin mit zu sich nach Hause.«
Sein Gesicht ließ sich anscheinend lesen wie ein offenes Buch, denn Liselotte fragte überrascht: »Sie nehmen ihn gar nicht mit nach Hause? Bleibt das Tier etwa über Nacht hier auf dem Markt?«
Er antwortete nicht. Liselotte sah Arthur an, als hätte er sich in ein Ungeheuer verwandelt. War er wirklich so herzlos, dass er sein Kätzchen abends allein auf dem Markt zurückließ?
»Verstehen Sie das nicht falsch, Liselotte. Ich würde niemals … Ich meine, denken Sie bitte nicht, ich würde …«
Wie sollte er es ihr erklären? Doch Liselotte konnte anscheinend wieder Gedanken lesen. »Nelson gehört gar nicht Ihnen?«, fragte sie entgeistert.
»Nein, er … also …« Arthur holte Luft. »Wissen Sie, das war so …« Er stockte.
Was um Himmels willen sollte er denn jetzt sagen? Er hätte Nelson niemals bei sich aufnehmen dürfen. Es war doch gar nicht sein Kater. Er trug ein Halsband mit einem Namen, das ihm seine wirklichen Besitzer umgelegt hatten. Seine Besitzer, die ihn vermutlich gerade suchten und schrecklich vermissten.
Was tat man, wenn man eine entlaufene Katze gefunden hatte?, fragte er sich zum ersten Mal. Bestimmt konnte man damit zur Polizei gehen. Oder besser zu einem Tierheim, denn die wussten sicher, was zu tun war.
Spätestens aber nachdem er das Suchplakat gesehen hatte, hätte er aktiv werden müssen. Doch stattdessen hatte er Nelson einfach bei sich behalten. Er hatte alles andere ignoriert.
»Er ist mir zugelaufen«, verteidigte Arthur sich hilflos. »Er ist einfach hier aufgetaucht und nicht wieder weggegangen. Ich habe versucht, ihn zu verscheuchen, aber das hat nichts gebracht. Er wollte sich nicht verjagen lassen. Irgendwie hat er es sich bei mir immer bequemer gemacht. Sehen Sie, dort unten in der Rückwand ist ein Loch. Nelson kann kommen und gehen, wie er will. Ich halte ihn nicht fest. Er ist frei, er kann machen, was er will.«
Liselotte war seinen Ausführungen gebannt gefolgt. Es wurde Arthur bewusst, dass er schon lange nicht mehr so viel auf einmal gesagt hatte. Er sprach mit anderen Menschen meist nur das Nötigste. Und jetzt war ihm ein ganzer Schwall an ungelenken Erklärungen über die Lippen gekommen.
Liselotte streckte ihren Arm über die Figuren und drückte Arthur die Hand.
»Vielleicht gehört er ja tatsächlich keinem«, sagte sie. Offenbar wollte sie ihn trösten. »Oder er ist ausgesetzt worden, so etwas kommt häufig vor. Sie sollten das zwar im Tierheim melden, um herauszufinden, ob Nelson vermisst wird. Aber nur, um sicherzugehen. Wenn keiner ihn sucht, können Sie ihn ja behalten. Dann haben Sie Sicherheit.«
»Ja, da haben Sie recht«, sagte er matt. Die Suchplakate wollte er lieber nicht erwähnen.
»Aber bis es so weit ist«, fuhr sie fort, »müssen Sie dafür Sorge tragen, dass Nelson keinen dieser Köder frisst. Heute Nacht kann er auf keinen Fall hier auf dem
Weitere Kostenlose Bücher