Nelson DeMille
besten für immer beenden könnte. Seine Tante war eine Schreckschraube, und er würde sie gern zur Witwe machen, und seine Cousins stellten keine Gefahr dar, falls ihrem Vater zufällig irgendwas zustoßen sollte.
Aber vielleicht war ich zu naseweis. Vielleicht dachte er an die Lasagne seiner Mutter. »Ihr Onkel sieht gut aus«, sagte ich.
Er riss sich von seinen Gedanken los und erwiderte: »Yeah. Er nimmt für seine Haare die gleiche Creme wie für die Schuhe.« Er sah mich an und lächelte. »Sie haben ihn um seine Karte gebeten.«
»Ich habe mich gefragt, in welchem Gewerbe er arbeitet.« Anthony lächelte wieder. »Im Familiengeschäft.« Er versicherte mir: »Er hat nicht gemerkt, dass Sie ihn veräppeln wollten.« Das war gut. »Sie haben Mumm.«
Ich erwiderte nichts, aber weil das Thema Mumm nun im Raum stand, hatte Anthony das Gefühl, mir erklären zu müssen: »Ich hätte ihm die Zigarettenkippe in den Arsch stecken sollen, aber jedes Mal, wenn ich sauer auf ihn bin, denken alle, ich wäre der Böse.«
»Ich glaube, Sie sind ganz gut damit umgegangen.« Ich erinnerte ihn: »Er ist Ihr Onkel.«
»Yeah. Per Heirat. Aber trotzdem muss ich ihm Respekt bezeugen. Richtig?«
»Richtig.« Bis du ihn umbringst.
»Aber er muss ebenfalls Respekt bezeugen.«
»Sie haben recht.« Ich hatte keinerlei Zweifel, dass in Anthonys Welt Männer schon wegen weit weniger als einer weggeworfenen Zigarettenkippe auf dem Patio ihres Gastgebers umgebracht worden waren. Alles drehte sich um Respekt und darum, dass man einen Goombah nicht öffentlich blamieren durfte, aber es ging auch um Familienbande, die Hackordnung und letztlich um das Gleichgewicht der Macht, das gewahrt werden musste. Und vielleicht war das der Grund, weshalb noch keiner der beiden etwas gegen den anderen unternommen hatte. Also pissten sie einander weiter an, bis der eine oder der andere ausrastete.
Anthony gab mir einen guten Rat: »Verarschen Sie ihn nicht. Er versteht keinen Spaß.«
Ich bezweifelte, dass Onkel Sal jemals einen Spaß begriffen hatte.
Dann sagte Anthony: »Ich glaube, das wird 'ne anstrengende Woche.«
Das schien aus heiterem Himmel zu kommen, war aber vielleicht eher eine Einleitung zu irgendetwas anderem als eine beiläufige Bemerkung, deshalb spielte ich mit und fragte: »Warum?«
»Naja, soweit ich gehört habe, hat John Gotti bloß noch ein paar Tage zu leben.«
Ich äußerte mich nicht.
»Es gibt 'ne dreitägige Totenwache und 'ne große Beerdigung. Wissen Sie?« Wieder äußerte ich mich nicht.
»Also muss ich dort sein«, erklärte Anthony. »Ich meine, ich habe nichts mit ihm zu schaffen, aber ich kenne die Familie, daher muss man seinen Respekt bezeugen. Auch wenn manche Leute auf falsche Gedanken kommen, bloß weil man dort ist.«
Richtig. Die Polizei und die Presse könnten einen zum Beispiel für einen Mafioso halten.
Er warf mir einen Blick zu und sagte: »Sie waren bei der Beerdigung meines Vaters. Aus Respekt.«
Ich war mir nicht sicher, weshalb ich zur Beerdigung seines Vaters gegangen war, abgesehen davon, dass ich möglicherweise ein bisschen ... schuldbewusst war, nehme ich an, weil meine Frau ihn umgebracht hatte. Ich hatte keinen Respekt vor Frank Bellarosa, aber ich glaube, dass ich ihn trotz allem, was geschehen war, mochte. Deshalb sagte ich zu Anthony: »Ich mochte Ihren Vater.« Und ich fügte hinzu: »Und Ihre Mutter.«
Er schaute mich an und nickte, als er sagte: »Hinterher, Jahre später, ist mir klargeworden, wie mutig das war. Ich meine, zur Beerdigung von meinem Vater zu gehen, wo es doch Ihre Frau war, die ihn umgebracht hat.«
Dazu fiel mir keine Antwort ein.
»Ich geh jede Wette ein, dass Sie sich von Ihren Freunden und Verwandten deswegen eine Menge Scheiß anhören mussten.«
Musste ich nicht. Weil danach niemand mehr mit mir sprach. Mein Vater allerdings hatte bemerkt: »Das zeugt von schlechtem Urteilsvermögen, John.«
Selbst meine Mutter, die alles Multikulturelle mag, fragte: »Was hast du dir dabei gedacht?« Meine Schwester Emily hatte mich ebenfalls angerufen und gesagt: »Ich habe dich im Fernsehen bei Bellarosas Beerdigung gesehen. Du bist aufgefallen wie ein bunter Hund, John. Wir müssen dir ein schwarzes Hemd und einen weißen Schlips besorgen.« Aber sie hatte hinzugefügt: »Dazu gehört Mumm.«
»Die Presse ist wahrscheinlich auch über Sie hergezogen.«
Ich wurde ein paarmal erwähnt, aber es war nichts wirklich Kritisches oder Abwertendes dabei;
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