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Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Nemesis 04 - In dunkelster Nacht

Titel: Nemesis 04 - In dunkelster Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
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die Bauern nach dem Krieg nicht hier herauf gekommen sind, um mal nachzusehen, ob es noch was zu holen gibt«, seufzte Ellen.
    »Du hast ja keine Ahnung!«, fuhr sie der Wirt an.
    »Natürlich waren die Bauern hier oben, und mein Vater mit ihnen. Aber hier war alles vermauert im Keller. Die haben also ein paar Möbel mitgenommen, Feldtelefone und so einen Kram, eigentlich alles, was nicht niet- und nagelfest war. Aber schon Anfang 46 hat Professor Sänger die Burg gekauft. Es hat ein paar Jahre gedauert, bis er sein Internat aufgemacht hat, aber die Burg war nicht mehr verlassen.«
    »Und die letzten Jahre?«, hakte die Ärztin nach. »Du glaubst doch selber nicht, dass sich im Dorf niemand mehr an die alten Geschichten über die Nazi-Schätze erinnert hat.«
    »Klar hat man sich erinnert«, grinste der Wirt und plusterte sich stolz auf wie ein Pfau auf der Balz, der seine schillernden Federn demonstriert. Hätte er Schwanzfedern gehabt, hätte er sie mit Sicherheit zu einem Rad entfaltet. »Aber die Burg war immer noch nicht leer. Es war mein Job, darauf zu achten, dass sich hier oben niemand herumtreibt, um zu schnüffeln, wenn der alte Sänger mal außer Haus war«, berichtete er fröhlich. »Den Enkel von Grüters habe ich einmal hier oben erwischt. Ich sag dir, dem hat Sänger vielleicht die Hölle heiß gemacht! Der hat seinen Hof verloren – war sowieso völlig überschuldet ... Danach gab es keinen mehr, der sich hier herauf getraut hätte.«
    »Das war alles?«, fragte Ellen misstrauisch.
    »Alles, was ich weiß.« Der Wirt legte in einer großen Geste die rechte Hand aufs Herz. »Ich schwöre es.«
    »Und was ist aus den Kindern geworden, die hier auf Burg Crailsfelden gelebt haben?«, hakte Ellen nach.
    Der Althippie bedachte sie mit einem gespielt mitleidigen Blick. »Das geht dir wohl nicht aus dem Kopf«, seufzte er. »Keine Ahnung, was mit denen ist. Das Kurhaus für junge Mütter und das Kinderheim sind geschlossen worden, das war's.«
    »Ich muss nur immer wieder an das Foto von Richard Krause, Eds SS-Großvater, und Professor Klaus Sänger denken«, grübelte die Ärztin, und ich hatte einmal mehr den Eindruck, dass sie zu Selbstgesprächen neigte. »Ein Wissenschaftler und ein Kinderdieb und Mörder ... Was hat die beiden zusammengebracht, und was haben sie hier getan, in einem Heim für junge Mütter?«
    »Kennst du nicht die Geschichten über den Lebensborn?« Carls teilnahmsvolles Lächeln wandelte sich zu dem feisten Grinsen, das ich fast noch mehr an ihm hasste, als die Speckschwarten an seinem faltigen Hintern. »Es gibt Leute, die behaupten, diese Mütterheime seien Führerbordelle gewesen. Angeblich hat man dort willige arische Frauen mit ausgewählten SS-Männern zusammengebracht. Vielleicht waren Krause und Sänger auf Urlaub hier? Eine ganz besondere Feier eben ...«
    Meine Eingeweide zogen sich in einem plötzlichen Krampf zusammen. Ich wollte auffahren, die ganze Diskussion unterbrechen, ehe einer von uns ein paar noch obszönere, abartigere Theorien auffahren konnte, aber dann fielen mir die besonderen Begleitumstände unserer Erbschaft ein, und ich musste wohl oder übel in Betracht ziehen, dass Carls These gar nicht so weit hergeholt sein könnte, wie es zunächst den Anschein machte. Auch wir waren geradewegs verkuppelt worden. Man musste nicht im Lacklederminirock unter einer Laterne stehen, um sich zu prostituieren, und keiner von uns konnte reinen Gewissens behaupten, dass der Köder von ein paar Millionen Euro nicht wenigstens einen kleinen Teil dazu beigetragen hatte, dass die Schranken so schnell weggefallen waren, nicht einmal ich. Und wenn man den Faden weiter verfolgte, dann gelangte man über kurz oder lang zu dem Schluss, dass wir alle von Natur aus blond und blauäugig waren, dass niemand von uns einen offensichtlichen körperlichen Makel aufwies (aufgewiesen hatte, als wir hierher gekommen waren, verbesserte ich meinen Gedanken mit einem Blick auf die zerschundenen Gesichter von Judith und Carl), und dass jeder von uns insgesamt dem arischen Ideal entsprach.
    Prostitution und Menschenzucht ... Mein Blick suchte verunsichert den Judiths. Auch sie wirkte beklommen und zog ihre Jacke ein wenig enger zu, als würde sie plötzlich frieren. Ob sie dasselbe dachte, wie ich?
    »Sänger war hier mehr als nur ein Gast«, widersprach Ellen und hielt uns eine weitere Akte hin. In eine Klarsichthülle eingeschweißt befand sich darin ein Zeitungsausschnitt, auf dem Professor

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