Nemti
leisen Worten, dessen Bedeutung ihm bisher verborgen geblieben war, sprach der Meister auf ihn ein. Er nahm die Kraft der Worte wahr. Eine Spirale von Energie jagte durch Neferkarês Körper.
»Du weißt um die Wichtigkeit unserer Mission.« Der Meister zog die Hände zurück.
»Ich habe es verinnerlicht«, gestand er. »Ihr habt mir die Notwendigkeit dessen, was wir tun, und dessen höheren Zweck gelehrt.«
Der Meister lächelte ihn an. Stolz blitzte in seinen Augen. »Hat unsere Mission deine ungeteilte Aufmerksamkeit? Bist du bereit, zu tun, was getan werden muss?«
Sein Körper straffte sich. »Ich bin bereit. Zur Ehre des Glorreichen.« Er ballte die Hände zu Fäusten und spürte die unbändige Kraft seiner Muskeln.
Der Meister wandte sich um und schritt würdevoll zu einem mehrfach gesicherten stählernen Wandschrank. Er schloss ihn auf und holte Gegenstände daraus hervor. »Beuge dich vor dem Glorreichen«, befahl er.
Neferkarê fiel auf die Knie und senkte den Kopf. Die Arme winkelte er an, die Handflächen nach oben gerichtet. Neben ihm breitete der Meister ein weißes Tuch aus.
»Von mir, dem Gottesdiener, empfange das Richtmesser, gereinigt mit dem geweihten Wasser, geschärft mit dem Stein der Erkenntnis und versehen mit der Kraft der heiligen Worte.«
Der Meister legte ihm einen Köcher auf die Hände. Darin befand sich die scharfe Blankwaffe, das wusste er.
»Ich, Neferkarê, bin das Werkzeug des ruhmreichen Erneuerers. Stolz, seine Waffe tragen zu dürfen.« Wie es die Zeremonie von ihm verlangte, legte er den Köcher behutsam auf dem Tuch ab.
»Empfange den Schneider des Zeichens«, er nahm das in einem Plastiketui sicher verwahrte Skalpell entgegen, »und den Gnadenbringer.«
Aus seiner Hosentasche zog der Meister ein ledernes Futteral, das sich Neferkarê um den linken Unterarm band. Da hinein steckte er das Stilett und sicherte es gegen das Herausfallen. Der Meister hatte ihm aufgetragen, die Stichwaffe bei seinen Einsätzen stets mit sich zu führen. Für den Notfall, wie er gesagt hatte.
»Erhebe dich.«
Der Meister entnahm dem Schrank ein hölzernes Kästchen. Darin lag, gebettet in dunklen Samt, ein vergoldetes Anch. Er berührte damit seine Stirn. Mit dieser Segnung endete das Ritual der Waffenübergabe.
Neferkarê stellte seinen Wagen in der hintersten Ecke des Parkplatzes in der Nähe der Felsen ab, blieb aber noch einige Zeit sitzen und sah sich um. Der Ort am Laacher See erschien ihm günstig. Auf dem Parkplatz in der Nähe des Campingplatzes standen täglich nur wenige Autos, meistens die von Joggern. Das hatte er in den letzten Tagen herausgefunden. Es waren allerdings niemals so viele Personen zur gleichen Zeit in der Nähe, dass sie sein Vorhaben hätten stören oder gar gefährden können. Von dem tiefer gelegenen großen Vorplatz, der zur Campinganlage gehörte, war der Parkplatz nicht einzusehen. Einige dicht belaubte Bäume schützten zudem vor neugierigen Blicken aus vorbeifahrenden Autos.
Von einer Stelle zwischen den Felsen aus, die er bei einer Ortsbesichtigung als geeignet befunden hatte, beobachtete er den Parkplatz. Neferkarê musste sich in Geduld üben. Er wurde auf eine harte Probe gestellt, denn der Zeitpunkt der Blut-Zeremonie rückte unaufhaltsam näher.
Ein Ford Fiesta fuhr auf den Platz und eine Frau stieg aus. Sie mochte Mitte dreißig sein und trug halblanges brünettes Haar, das sie zu einem Zopf gebunden hatte. Ohne dass ihn die Frau bemerkte, beobachtete er sie – und er wusste, dass sie es sein sollte.
Die Frau band ihre Laufschuhe zu und verschwand binnen Kurzem im Wald.
Vorsichtig kletterte er von seinem Beobachtungsposten hinunter und schlenderte am Wagen der Joggerin vorbei zu seinem Auto. Er kramte einen alten Schraubenzieher aus dem Kofferraum, dessen Spitze er angeschliffen hatte. Bald darauf stand er neben dem Fiesta und blickte sich um. Die Luft war rein. Er stieß den Schraubenzieher kraftvoll in die Profilrille des linken Hinterreifens. Dabei vermied er es akribisch, den Wagen zu berühren. Es zischte, als er den Schraubenzieher aus dem Reifen zog. Dann sah er zu, wie langsam die Luft entwich. Die Vorbereitung war getroffen, nun hieß es warten.
Wieder bezog er seinen Posten und beobachtete den Bereich des Waldes, in dem die Frau verschwunden war. Da die Auswahl an Möglichkeiten nicht groß war, glaubte er zu wissen, von wo sie zum Parkplatz zurückkommen würde.
Dann sah er sie. Ihr Schritt wirkte schwerfällig. Sie
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