Nemti
anfassen. Finger weg.«
Erschrocken wirbelte er herum und hätte beinahe die kleine Frau umgestoßen, die scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht war.
»Frau Prohaska?«
»In voller Größe.« Sie musterte ihn von oben bis unten. Ihren weißen Kittel trug sie offen, die Ärmel waren hochgeschoben. Mit dem Zeigefinger schob sie ihre Brille zurück, die auf der Nasenspitze saß.
Lukas lächelte sie an.
»Lachen Sie nur, junger Mann. Würde ich auch tun, wenn ich so groß wäre wie Sie und plötzlich einem Zwerg gegenüberstünde. Wer sind Sie eigentlich? Was machen Sie hier?«
»Lukas Dux, Praktikant im Kommissariat für Gewaltdelikte.« Er zupfte verlegen an seinem rechten Ohrläppchen. »Ich habe nicht über Sie gelacht, und das mit dem Zwerg haben Sie gesagt.«
»Ich stehe dazu. Hat Herr Habermehl Sie geschickt?«
»Ja. Ich soll etwas abholen.«
»Kommen Sie.«
Habermehl hatte ihn informiert, dass Evelyn Prohaska Spezialistin für Daktyloskopie und diverse kriminaltechnische Untersuchungen sei, intelligent und zuverlässig. Erhobenen Hauptes stolzierte sie vor ihm her, stets bemüht, größer zu erscheinen, als sie in Wirklichkeit war. Sie umrundeten einige Arbeitstische und betraten einen Büroraum, in dem ein aufgeräumter Schreibtisch stand. Frau Prohaska griff nach einer dünnen Mappe und reichte sie ihm. »Wenn Sie wieder einmal zu mir wollen, finden Sie mich hier.«
»Verstehe.« Er hatte seine anfängliche Unsicherheit abgelegt. »Wenn ich weiß, wo ich hin muss, kann ich den kürzesten Weg wählen und komme nicht in Versuchung, Ihre teuren Arbeitsgeräte anzufassen.«
»Wir haben uns verstanden. Kann ich noch etwas für Sie tun?«
»Sie könnten mir bei Gelegenheit einmal Ihr Arbeitsgebiet näherbringen.«
Frau Prohaska nahm die Brille ab und sah Lukas mit einem forschenden Blick aus braunen Augen an. Ihre Mundwinkel waren leicht nach oben gezogen. »Heißt das so viel wie: Können wir uns treffen und Spaß zusammen haben?«
»Nein«, stotterte er. »Was denken Sie von mir? Ein solcher Gedanke liegt mir fern.«
»Das wollte ich hören. Ich bin glücklich verheiratet und Mutter von zwei herzallerliebsten Rabauken.« Sie zeigte auf das Familienfoto auf dem Schreibtisch.
»Es geht mir lediglich darum, einen Einblick in Ihr Fachgebiet zu bekommen. Ehrlich. Ich möchte während meines Praktikums so viel lernen wie möglich.«
»Gut, mache ich gern. Nur nicht jetzt. Ich habe zu tun.«
»Okay, Herr Habermehl wartet sicher auf die Mappe. War nett, Sie kennenzulernen, Frau Prohaska.«
Auf dem Rückweg zog Lukas sein Mobiltelefon aus der Hemdtasche und aktivierte es. In der Mailbox fand er einige Anrufe. Der für Lukas interessanteste war am Vorabend eingegangen, von Kräuter-Jupp. Der Anruf erschien ihm so wichtig, dass er einen Schritt zulegte.
Er stieß die Tür des Büros auf und übergab Habermehl die Mappe. »Ich habe einen Anruf von Kräuter-Jupp auf meiner Mailbox. Ihm ist bestimmt noch etwas eingefallen.«
»Und was?«
»Kann ich nicht sagen. Ich soll zurückrufen.« Lukas wählte Jupps Nummer. »Er hat das Handy ausgeschaltet.«
»Dann holen Sie ihn her. Das schaffen Sie sicher allein?«
»Selbstverständlich. Mit oder ohne Bulldog?«
»Ohne. Ich will nur mit ihm reden, nichts kaufen.«
Anhand des Handzettels aus der Ermittlungsakte fand er heraus, dass er Kräuter-Jupp an diesem Tag in Bell erreichen würde, in der Nähe des Hasenbrunnens.
Eine halbe Stunde später passierte Lukas das Ortsschild von Bell. In der Dorfmitte bog er in die Brunnenstraße ein. Nahe der gepflasterten Brunnenanlage entdeckte er den roten Bulldog. Er lenkte das Auto an den Straßenrand. Kräuter-Jupp stand gebeugt vor der Basaltsäule, in die ein Bildhauer Hasenmotive eingemeißelt hatte.
»Der Hassebuhr hat gutes Wasser. Solltest du auch mal probieren«, sagte Jupp unvermittelt und ohne aufzuschauen.
»Würde ich gern. Du stehst aber im Weg.«
Jupp schlürfte einen letzten Schluck und trat zur Seite. Die nassen Hände wischte er an seinem Hemd trocken. »Du hast meine Nachricht erhalten?«
»Ja, und ich bin gespannt, was du zu sagen hast.«
»Ihr Polizisten seid immer neugierig und stellt Fragen über Fragen. Komm, setzen wir uns auf die Bank.«
»Geht nicht. Mein Chef will dich sprechen.«
»Wo ist er?« Kräuter-Jupp blickte sich um. »Ich kann ihn nirgendwo sehen.«
»Der ist auch nicht hier. Ich soll dich ins Kommissariat bringen.«
»Das ist nicht dein Ernst. Ich kann hier nicht weg, muss
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