Neongrüne Angst (German Edition)
so einen Unfall zu verursachen … meinetwegen, das sieht ihm ähnlich. Aber der legt doch nicht zwei erwachsene Kerle um. Das passt nicht zu dem. Der hat doch im Grunde nichts drauf. Große Fresse und nichts dahinter! Ich hab ihn problemlos fertiggemacht …«
Johanna unterbrach ihn. In ihrer Stimme schwang ein hysterischer Ton mit, den Leon sonst bei ihr gar nicht kannte.
»Volker war es nicht!« Dann klang plötzlich ein Vorwurf gegen ihn mit. »Du hast den Falschen verkloppt. Der Telefonflüsterer hat Pit schon dafür bestraft, dass er mir geholfen hat, als ich hyperventiliert habe. Du bist garantiert der Nächste, Leon!«
»Oh, da habe ich aber Angst«, spottete Leon. »Soll er nur kommen, der feige Hund. Ich freu mich auf ihn! Wenn er noch nicht genug hat, klopp ich ihm gerne noch mal die Nase platt.«
»Red nicht so, Leon. Spotte nicht! Pass gut auf dich auf. Für den hat ein Menschenleben keine Bedeutung …«
Während auf Leons Facebookaccount immer mehr Horrormeldungen eingingen und neue Nachrichten wie Regentropfen bei einem Sommergewitter hereinprasselten, versuchte er, Johanna zu beruhigen.
»Sieh mal«, sagte er und hörte sich dabei recht großväterlich an, wie er selbst fand, »das mit den Morden ist reiner Zufall.«
Sie lachte wie jemand, der kurz davor war durchzudrehen.
Er blieb ruhig, was sie rasend machte.
»Guck doch einfach mal die Zeitungen der letzten Woche durch oder meinetwegen irgendeiner beliebigen Woche. Die Nachrichten sind voll von solchen Meldungen, Johanna. Sinnlose Morde. Brandanschläge. Gewaltverbrechen, Unfälle. Katastrophen. Bandenkriege. Das alles passiert ständig. Es ist schrecklich, aber es hat überhaupt nichts mit dir zu tun. Auch wenn du nie geboren worden wärst, würden all diese Dinge geschehen. Was dieser Spinner jetzt macht, ist: Er verknüpft dich damit. Er tut so, als seist du schuld an dem, was passiert. Er hat all diese schlimmen Dinge nicht getan. Aber er kann sich sicher sein, dass sie geschehen. Heute, morgen, übermorgen, bis zum Ende aller Zeiten.«
Johanna heulte vor Zorn, als sie ins Telefon schrie: »Das auf der Achterbahn war kein Zufall, du Idiot!«
»Nein, es ist ein Bandenkrieg von Schutzgelderpressern. Facebook ist voll damit. Die haben vor ein paar Jahren auch den türkischen Besitzer einer Dönerbude, der nicht zahlen wollte …«
»Facebook!!!« Sie sprach das Wort aus, als sei alleine schon deswegen alles falsch, weil es dort gepostet wurde. »Pit hat nichts mit Schutzgelderpressung zu tun. Der ist in keiner Bande! Wir müssen vorsichtig sein, Leon. Wir dürfen diesen Typen nicht wütend machen. Wenn der sauer wird, dann …«
»Wie sprichst du denn, Johanna? Wir können uns dem doch nicht unterwerfen! Er ist nicht Gott!«
Er konnte hören, dass sie von einem Fuß auf den anderen trat, während sie sprach und heftig atmete. Er hoffte nur, dass sie nicht wieder hyperventilieren würde.
»Er benimmt sich aber so. Er spielt sich zum Herrn über Leben und Tod auf. Menschenleben spielen für den überhaupt keine Rolle. Er will nur seinen Willen durchsetzen!«
»Beruhige dich, Johanna. Außerdem benimmt er sich dann wohl nicht wie Gott, sondern eher wie der Teufel, findest du nicht?«
Er ärgerte sich darüber, das gesagt zu haben, denn auch damit machte er den Typen wieder größer, als er war.
Sie sprach weiter, als hätte er gar nichts gesagt. Sie beschwor Leon geradezu. »Wir sind für den so etwas wie Versuchskaninchen in einem Experiment. Unser Tod ist längst einkalkuliert.«
Erst als sie es aussprach, wurde ihr wirklich bewusst, dass sie sich genau so fühlte: wie eine Laborratte oder ein Frosch, der zum Sezieren gebracht wurde für den Klassiker in der Medizinerausbildung, Galvanis Froschschenkelversuch. Sie hatte mal Studenten am Nebentisch im Eiscafé Cortina darüber reden hören und sich dann entschieden, garantiert nicht Medizin zu studieren, weil sie keine Tiere in Schnippelkursen missbrauchen wollte.
Sie erinnerte sich noch sehr an die Worte der jungen Frau. Damals war sie im Cortina aufgesprungen und hatte sie angebrüllt, sie solle endlich ruhig sein.
Jetzt stiegen die Worte wieder in Johanna hoch, als sei sie in die Situation damals zurückkatapultiert worden.
»Der Frosch wird natürlich vor dem Versuch durch Köpfen getötet. Dann wird das Herz freigelegt. Das schlägt auch nach der Tötung noch ziemlich lange weiter. Mit einer Pinzette haben wir die Haut so vom Brustkorb etwas angehoben und dann mit der
Weitere Kostenlose Bücher